Als Sido noch voll auf aggro war, hatten die Leute wenigstens was zu gruseln. „Wer cool sein will, geht raus in den Wald, sucht nach einem Kerl in Rot und macht ihn kalt“, rappte er im Advent 2003 zur Melodie von Jingle Bells . Das war lustig gemeint und wurde mit dem Zungenschlag eines schwer bekifften Berliners vorgetragen. Doch genau diese breit grinsende Unschuldsmiene war es, die Eltern und Jugendschützer damals am meisten aufregte. Was bildete der Kerl sich ein?
Wäre er in einer jener Plattenbauburgen geblieben, in denen die Berliner Unterschicht haust, es hätte niemanden gestört. Doch das ist ja das Dilemma: Rapper sollen frech und authentisch sein, aus dem Ghetto kommen – und trotzdem ein bürgerliches Publikum amüsieren. Über Endlich Wochenende, eine Hymne an den Drogengebrauch, kicherte die gesamtdeutsche Jugend besonders laut. Die Bundesanstalt für jugendgefährdende Medien machte dem Treiben ein Ende, indem sie das komplette Debütalbum Maske indizierte.
Seitdem ist viel Wasser in den Betonritzen des Märkischen Viertels versickert. Sido gehört nun auch zu denen, die in ihren Songs Herzblut verspritzen und schon mal ein Duett mit Marius Müller-Westernhagen wagen. Es musste wohl so kommen. Man hat ihm den Echo verliehen und Goldene Schallplatten. Er saß in der Jury von Popstars und raste im Wok mit Stefan Raab um die Wette. Nur seiner Musik hat das nicht gutgetan.
Auf 30-11-80, Sidos fünftem Album, spricht noch immer die Unterschicht, aber vorwiegend aus der Perspektive eines besorgten Vaters. Das wäre erst mal nichts Schlimmes. Doch Sidos Ratschläge klingen so abgedroschen und ironiefrei, als hätte er sie für eine Vorabendsendung auf Bayern 3 geschrieben: „Ich nehm ihn an der Hand und führ ihn auf den rechten Weg.“ Die Beats schreiten nebenher wie dicke alte Männer. Und wenn die Streicher einsetzen, brauchen selbst ganz harte Kerle ein Taschentuch.
Nur manchmal blitzt noch das alte Talent auf, beim hüpfenden Balkan-Pop von Enrico oder bei Arbeit, einem dadaistischen Blödelsong mit Helge Schneider, frei nach dem alten Erika-Fuchs-Motto: „Wer Arbeit kennt und da nicht rennt oder sich verdrückt, der ist verrückt“. Zwei Stücke, die zeigen: Man kann auch als Rapper durchaus in Würde altern – solange es noch ein bisschen was zum Lachen gibt.
Sido: 30-11-80 (Urban/Universal)