Viele Künstler können von ihrer Arbeit nicht leben – Plattenfirmen und Buchverlage kümmert das bisher wenig

Das Wort „Künstler“ schmeckte schon immer ein wenig nach kaltem Rauch und durchgearbeiteten Nächten. Weil dahinter nicht nur ein kreativer Mensch steckt, sondern auch ein Geschäftsmodell: Der Künstler gibt alles für seine Kunst – 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Niemand ist flexibler, keiner genügsamer. Und trotzdem können nur wenige von ihrer Arbeit leben. In der Musikindustrie ist die Lage besonders prekär: Zwischen 2001 und 2010 ging der Umsatz von 2,4 Milliarden auf 1,5 Milliarden zurück. Vor allem für kleine Independent-Labels und deren Bands wird es zunehmend enger:  „Wir haben uns immer schon durchgewurschtelt. Als Künstler zwischen Selbstverwirklichung und Auftragsarbeit – es ist und bleibt eine Mischkalkulation“, sagt Maurice Summen, Sänger der Band Die Türen. Auf seinem Independent-Label Staatsakt veröffentlicht der 38-jährige Kritikerlieblinge wie Bonaparte, Andreas Dorau, oder Ja, Panik. „Ich würde nicht auf die Idee kommen, Leute zu verklagen die unsere Alben unerlaubt herunterladen. Ich kenne das Kopieren ja noch aus der Ära der Tapes und ich kann auch niemanden zwingen unsere Musik zu kaufen. Musikern reicht es oft auch schon, einfach nur gehört zu werden“, sagt Summen, der nicht die unerlaubten Downloads problematisch findet, sondern die Sättigung des Markts durch lebenslange Rock ’n‘ Roll-Rebellen wie die Rolling Stones und Bruce Springsteen.

Der Verkauf von Tonträgern und Downloads macht heute zwar nur noch 20 Prozent vom Umsatz eines Sängers oder einer Band aus. Doch auch das Live-Geschäft ist zunehmend monopolisiert und nicht jedes Bandmitglied verdient als Urheber an den Ausschüttungen der Gema. Laut einer Statistik der Künstlersozialkasse betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Musikers 2010 gerade einmal 11.781 Euro. Die unter 40-jährigen verdienten sogar noch weniger: „Durch Digitalisierung, Globalisierung und den Streit ums Urheberrecht haben wir in der Musikszene eine Entwicklung die in Richtung „Hobbysierung“ führt. Weil keiner mehr davon leben kann!“, sagt Andrea Rothaug, die Geschäftsführerin des Vereins Rockcity. In einem kleinen Büro im Hamburger Karolinen-Viertel malt die 46-jährige Musiker-Gewerkschafterin ein düsteres Szenario: Nur neun Prozent der Künstler verdienen als Profis ausreichend Geld zum Leben – der Rest schlägt sich mit Nebenjobs durch. Independent Labels wie Staatsakt haben zwar als Entdecker und Repertoire-Entwickler eine wichtige Funktion, „damit Musik nicht ausschließlich über Casting-Shows und den „Glücks-Faktor“ funktioniert“. Doch der Mainstream wird eher von RTL und Deutschland sucht den Superstar definiert.

Weil echte Stars immer seltener werden und die Umsätze schwinden, überwachen Plattenfirmen die goldenen Eier ihrer Schützlinge mit Argwohn. Schon bevor ein erfolgversprechendes neues Album auf dem Markt kommt, werden Anwälte damit beauftragt Urheberrechts-Verletzungen zu ermitteln. Spezialisierte Kanzleien, wie Waldorf Frommer oder die We-Save-Your-Copyrights-Rechtsanwaltsgesellschaft, arbeiten mit IT-Dienstleistern zusammen, die in Filesharing-Netzwerken Köder auslegen und dann warten bis die Beute kommt. Mit Hilfe von Ermittlungssoftware wie Nars und Tcpdump werden illegale Downloads unanfechtbar registriert und archiviert. Einer Studie des Beratungsunternehmens TERA von 2010 zufolge, verursachte die illegale Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte 2008 allein in Deutschland einen Schaden von 1,2 Milliarden Euro und kostete rund 34.000 Arbeitsplätze.

Doch die Unterhaltungsindustrie weiß sich zu wehren: Mehr als 600.000 Abmahnungen wurden 2010 verschickt – Beträge von bis zu 1.298,- EURO für den Download eines Albums sind keine Seltenheit. Wenn man bei Universal um ein Interview zu diesem offenbar hochprofitablen Geschäftsmodell bittet – der Schadensersatz für ein Album liegt meist bei mehreren hundert Euro – wird man an den Bundesverband der Musikindustrie verwiesen. Auch hier nimmt man zu der Thematik nur schriftlich und sehr vorsichtig Stellung. Alexander Krolzik, Rechtsanwalt bei der Hamburger Verbraucherzentrale, wird deutlicher und nennt ein Beispiel: „Die angenommen Zahlen für die Kanzlei Walddorf Frommer schwanken zwischen 80.000 Abmahnungen und – wenn man die Aktenzeichen zugrunde legt – 160.000 Abmahnungen pro Jahr. Das heißt, wir reden alleine hier von Forderungen in Höhe von 76.480.000 bis 152.960.000 Euro“.

Ein prächtiger Kuchen – doch wie wird er mit den Urhebern geteilt? Schließlich sind es ja ihre Rechte um die es hier geht: „Bis heute haben wir ohne Nachfrage keine Abrechnung gesehen, die zeigt, was dabei für die betroffenen Künstler abfällt“, sagt Tim Renner, der sich als Geschäftsführer von Motor Entertainment auch um das Management von Popstars wie Marius Müller-Westernhagen und Polarkreis 18 kümmert. „Nach einem Nummer-1-Hit haben wir mal bei der Plattenfirma nachgefragt. Uns wurde dann mitgeteilt, da seien 90.000 Euro eingenommen worden und dafür würden wir jetzt den üblichen Prozentsatz pro CD bekommen. Das haben wir nicht akzeptiert“. Renner hielt den Betrag von 90.000 Euro für unglaubwürdig gering, deshalb stellte Motor ausnahmsweise selbst ein erfolgreiches Album ins Netz und beauftragte eine Anwaltskanzlei: „Obwohl dieser Künstler ältere Fans anspricht, die vermutlich weniger downloaden, kam schnell ein Umsatz von 250.000 Euro zusammen“.
Selbst wenn man die Abmahnungen der Content-Industrie als berechtigte Notwehr sieht – den eigenen Künstlern und Urhebern gegenüber sollten die Firmen penibel Rechenschaft ablegen. Zumal die Branche gerne mal die moralische Keule schwingt, wenn es um kleinste Verletzungen des Urheberrechts geht.

Die Band Deichkind hat dagegen eine Menge Verständnis für Internet-Piraten: “ Ihr sagt wir sind kriminell, doch wir sind nur die User / Im Knast saugen wir weiter, Copyrights sind was für Loser / Tupac, Kurt und Marley, der Shit ist für uns alle da / Wir sind zu viel, wir sind zu nah, wir sind zu schnell: ihr könnt uns mal“, toben die Musiker in „Illegale Fans„, einem Song vom aktuellen Album „Befehl von ganz unten“. Die 223.134 Facebook-Freunde der Band bekommen das Schelmenstück geschenkt. Es wäre allerdings peinlich, wenn herauskäme, dass Universal, die Plattenfirma von Deichkind, illegale Downloads des rebellischen Songs verfolgt.
Die vier Musiker und Urheber sehen das Thema Copyright ohnehin mit viel Ironie und Distanz. Einer bekennt sogar: „Manchmal ziehe ich mir ein Album runter, von einem Künstler den es bei iTunes nicht gibt“. Es wird auch anderen Urhebern gelegentlich so gehen. Doch Deichkind preisen auch die Funktionalität von iTunes und berichten sehr vergnügt, dass sie ebensoviel mit dem Verkauf von T-Shirts und Fan-Artikeln verdienen, wie mit CDs, Vinyl und Downloads. An die CD glaubt niemand mehr und selbst Downloads werden zunehmend obsolet. Seit der Einigung von Gema und Bitkomm etabliert sich Streaming – das „Wunschradio“ aus der „Cloud“ – immer mehr als Modell der Zukunft. Dass sich an den prekären Einkommensverhältnissen der Musiker dadurch etwas ändert ist unwahrscheinlich: „10.000 Streams bei Simfy bringen für das Label etwa 30 Euro. Aber die müssen noch mit dem Künstler geteilt werden“, sagt Maurice Summen von Staatsakt.

Das klingt nach einer traurigen Zukunft für die Urheber. Doch alles spricht dafür, dass sich in der aufziehenden Spotify-Simfy-Google-Ära ein pauschales Bezahlungsmodell durchsetzen wird – egal ob man das jetzt Geräteabgabe, Kultur-Flatrate oder anders nennt. Vielleicht sollten sich alle, denen es ernst ist mit der fairen Bezahlung der Künstler, noch einmal mit einem Projekt des Max-Planck-Institutes für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht befassen. Fünf Rechtswissenschaftler haben in der zweiten Hälfte der Neunziger dort den Ansatz verfolgt, dass Künstler immer angemessen bezahlt werden sollen – egal, ob sich das Werk vermarkten lässt oder nicht. Als die Forscher im Jahr 2000 der damaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin den Entwurf zu einem geänderten Urhebervertragsrecht vorlegten, war sie bereit, einen entsprechenden Gesetzesentwurf zu verabschieden. Der Juraprofessor Karl-Nikolaus Pfeifer, der dem Magazin brand eins in der Dezember-Ausgabe davon erzählte, verschwieg auch nicht das traurige Ende dieser Initiative: „Die Buchverlage haben einen Sturm der Empörung entfacht. Sie wollten die Beteiligung der Urheber unverändert lassen, sie also nur eventuell im Erfolgsfall beteiligen. Wenn sie selbst kein Geschäft machten, sollte der Autor auch nichts dafür bekommen können“.
Urheber und Verwerter haben mitnichten die gleichen Interessen und selten genug verhandeln sie auf Augenhöhe. Weil der Streit um das Copyright in einer juristischen Fachsprache geführt wird, hat sich die breite Öffentlichkeit längst ausgeklinkt. Man lädt herunter und spricht nicht drüber. Nur das mit den Künstlern, dass die dann so gar nichts verdienen, das macht vermutlich sogar hartnäckigen Piraten gelegentlich zu schaffen. Diesen Effekt nutzt die Unterhaltungsindustrie aus: Die Künstler sind ihr Schutzschild.

Jürgen Ziemer (veröffentlicht im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, 20.3.2012)

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