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ICH BIN NICHT EUER DIDI

Er hat die Deutschen zum Lachen gebracht wie kaum ein anderer. Doch die Zeit der Schenkelklopfer ist für Dieter Hallervorden vorbei. Eine widersprüchliche Begegnung.

Foto: Urban Zintel

Wir sitzen noch nicht mal richtig, da ist die Stimmung schon im Keller. Schuld ist eine ganz einfache Frage: »Herr Hallervorden, wann hat man Sie zum letzten Mal Didi genannt?« Das Gesicht des 79-Jährigen verfinstert sich innerhalb von Sekunden. Die Mundwinkel zucken, die Augen verengen sich zu Schlitzen, dann platzt es auf gut Berlinerisch aus ihm heraus: »Ich reiß mir hier ’nen gewissen Körperteil auf, um die Dinge zu machen, die Sie gerade gesehen haben, und Sie kommen mir mit Didi?«

War wohl keine gute Idee, mit dem alten Kram anzufangen. Der Name Didi ist ein Gruß aus einer Zeit, als Männer noch ungestraft Dinge wie »Hallöchen, Popöchen« sagen durften. Mit »Nonstop Nonsens« wurde Dieter Hallervorden in den 70er-Jahren zu einer Ikone des deutschen Humors. Der Didi, das war seine Kunstfigur, ein deutscher Louis de Funès. Sketche wie das absurde »Palim Palim« – mit dem unschlagbaren Claim »Ich hätt gern ’ne Flasche Pomm’ Frites« – erzählte man sich in Büros, spielte sie auf Schulhöfen nach. Doch irgendwann war Schluss mit lustig: Da wollte Dieter Hallervorden nicht mehr Didi sein, sondern zurück zu seinen Wurzeln als Charakterdarsteller. Wenige Komiker haben es geschafft, eine solche humoristische Marke zu generieren. Nur, das ist nach diesem Gesprächsbeginn im Foyer seines Schlosspark Theaters klar: Glücklich ist der Schauspieler damit nicht.

Im gutbürgerlichen Berliner Stadtteil Steglitz hat sich Hallervorden mit dem Theater sein eigenes Reich erschaffen. Seit 2009 ist er Intendant und Betreiber des traditionsreichen Theaters, zu dessen Ensemble früher Hildegard Knef, Martin Held und Klaus Kinski gehörten. Vor einer halben Stunde stand er noch selbst auf der Bühne, als Monsieur Jourdain in Molières »Der Bürger als Edelmann«. Ein über 300 Jahre alter Klassiker der Komödie, dessen Witz leicht und zeitlos ist. Der Beifall wollte danach gar nicht mehr enden.

Hallervorden hat zwei kleine Bierchen für uns bestellt. Er mag sie klein und frisch, alles, was länger als eine halbe Stunde steht, hält er für untrinkbar. Seine weißgrauen Haare streben entschlossen in unterschiedliche Richtungen, er lächelt jetzt und scheint dabei wieder ganz bei sich. »Ich habe den Didi ja erfunden und auch gern gespielt – aber ich bin es nicht. Er ist eine Kunstfigur, von der ich mich trennen musste, sonst wäre ich niemals zu neuen Ufern gekommen.« Man spürt, dass er diese Sätze schon oft gesagt hat. Weil er möchte, dass man ihn endlich als vielseitigen Charakterdarsteller akzeptiert und nicht bloß als ewigen Clown.

Wer alt genug ist, weiß das und erinnert sich an »Das Millionenspiel« von 1970 – eine der Sternstunden des deutschen Fernsehens. Das Thema von Wolfgang Menges Mediensatire war eine fiktive Gameshow, in der ein Kandidat eine Woche lang von Auftragskillern gejagt wird: »Sollte der Kandidat vorzeitig den Tod finden, erwartet Sie ein umfangreiches Unterhaltungsprogramm mit vielen beliebten Künstlern«, erklärt eine täuschend echt aussehende Ansagerin zu Beginn. Dieter Hallervorden verkörperte den Anführer der Killer mit einer Härte und Präzision, die ihm später lange Zeit niemand mehr zugetraut hat. 1974 terrorisierte er als entlaufener Psychopath in »Der Springteufel« einen Autofahrer so ausdauernd, dass einem als Vergleich nur Jack Nicholson in »The Shining« einfällt.

Hallervorden hat solche Rollen immer noch drauf: In dem Psychothriller »Das Kind« schlüpfte er 2012 in die Rolle eines Päderasten und Kindermörders – so glatt und kalt, dass sich einem die Nackenhaare sträuben. »Er spielte unfassbar gut, geradezu erschreckend«, erinnert sich der Regisseur, Zsolt Bács. »Ich war so stolz darauf, dass ich diesen großen Schauspieler für die Rolle gewinnen konnte, dass ich es etlichen Filmkollegen erzählt habe. Doch die Reaktion war ungläubiges Staunen: Na, ob der das spielen kann? Alle glaubten, dass, wenn Hallervorden auftaucht, plötzlich ein Lachen durchs Publikum geht.« Stattdessen war es der Auftakt zu Hallervordens Kino-Comeback.

In »Honig im Kopf«, einer von Til Schweiger inszenierten Tragikkomödie, die am 25. Dezember in die Kinos kommt, geht es wesentlich harmonischer zu. Der 79-jährige Hallervorden spielt darin einen Alzheimer-Patienten, der von seiner elfjährigen Enkelin nach Venedig entführt wird. Die enge Beziehung zwischen der von Emma Schweiger gespielten Tilda und ihrem Großvater Amandus steht im Mittelpunkt des aufwendig produzierten Familienfilms.

 Nach »Sein letztes Rennen«, in dem Hallervorden 2013 den ehemaligen Marathonläufer Paul Averhoff spielte, der sein Leben nicht aus der Hand geben will, ist dies eine weitere große Steilvorlage für den Schauspieler. Und wieder nutzt er sie. Diesmal betont leise. Lacht der alte Amandus innerlich, weil er den Irrsinn des Lebens so gut wie hinter sich hat? Oder spürt er den Verlust seines Denkens? Es sind widersprüchliche Welten, die in den Blicken dieses zerknautschen Gesichts anklingen. Und man glaubt jedem einzelnen davon.

Privat ist Hallervorden weit weniger altersmilde. Geboren wurde er in Dessau, doch die geradlinige Ruppigkeit der Berliner, gepaart mit einer immer wieder aufblitzenden Jovialität, ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Wehe, man bringt ihm statt des bestellten 0,2er- ein 0,3er-Glas Bier. Das gibt sofort einen Anpfiff. Er befinde sich im »Unruhestand«, behauptet er, und sein Lebensmotto sei: »Mindestens einmal mehr aufstehen als hinfallen.« Er geht gern segeln, schwimmen und surfen, am liebsten mit seinem 16-jährigen Sohn Johannes. »Und wenn ich mir mal zu viel auf die Schultern geladen habe«, tönt er grinsend, »dann orientiere ich mich an einem Ratschlag von Abraham Lincoln: ›Halte dir an jedem Tag 30 Minuten für deine Sorgen frei und mache in dieser Zeit ein Nickerchen.‹« Dann guckt er verstohlen rüber, um zu sehen, ob der Witz zündet.

 Die leise Rolle des Alzheimerpatienten hat diesem kämpferischen Typen sicher mehr abverlangt als die des alten Marathonläufers Paul Averhoff, die ihm geradezu auf den Leib geschrieben war. Hallervorden hat deshalb fleißig Bücher zum Thema gelesen und viele Tage in Wohngemeinschaften von Demenzkranken verbracht: »Der Film balanciert ja auf dem schmalen Grat zwischen Schmunzeln und zutiefst Berührtsein. Dieses ›Berührtsein‹ herzustellen ist nicht so einfach.« Die Zuschauer würden schnell merken, wenn es nicht ehrlich ist. Deshalb habe es ihn gefreut, als die Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft sagte, sie hätte noch nie jemanden so glaubwürdig einen Demenzkranken spielen sehen. Er verzieht das eben noch staatstragende Gesicht zu einem bösen Didi-Grinsen: »Unter der Voraussetzung, dass die Dame nicht selbst dement ist, finde ich das okay.«

Der Mann kann nicht anders. Warum verzichtet er nicht auf diese platten Witze, die das Didi-Stigma eher unterstreichen, als es zu widerlegen? Hallervorden ist klug, eloquent und schnell – aber er möchte auch geliebt werden. Witze waren für ihn schon immer ein Schlüssel zu den Herzen der Menschen. Und auch wenn er als Schauspieler perfekt in jede Rolle schlüpft, das Vergnügen, ab und zu einen lauten Spruch zu bringen, lässt er sich augenscheinlich nicht nehmen.

Mit Emma Schweiger kam Hallervorden während der Dreharbeiten gut klar – die Zusammenarbeit mit ihrem Vater lief weniger glatt. Til Schweiger gilt in der Branche als Dickkopf – am Set nannte man ihn »den Imperator«. Er nötigte Hallervorden zu einer Szene, die dem Schauspieler sehr peinlich war: Opa Amandus macht sich vor seiner Enkelin in die Hose, unterlegt mit einem deutlich vernehmbaren Geräusch. Worauf Tilda ihm die gigantisch großen Feinripp-Unterhosen wechselt – weil Schweiger es so wollte. »Es war vorher besprochen, dass ich die Szene nicht spielen möchte. Til Schweiger hat dann darauf bestanden. In einem Film von so hoher Qualität muss man doch nicht billige Lacher provozieren.« Nach den Dreharbeiten herrschte eine Zeitlang Funkstille zwischen beiden, wie Hallervorden später dem RBB berichtete.

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(c) Urban Zintel

Hallervorden gilt als Perfektionist, gibt ungern Dinge aus der Hand. Sein Talent ist dabei unumstritten: »Dieter Hallervorden verrät nie seine Rolle. Wenn er einen Doofen spielt, dann macht er sich nicht über ihn lustig, sondern spielt jemanden, der verzweifelt darum kämpft, klug zu sein«, sagt sein Freund und Kollege Harald Effenberg, der schon 1983 bei »Didi und die Rache der Enterbten« mitwirkte und auch in Molières »Der Bürger als Edelmann« mit auf der Bühne steht.

2003, nach dem Ende der Kabarettsendung »Spott-Light«, kam der Karriereknick. Den Kinofilm »Alles Lüge« hatten die Kritiker schon 1992 als misslungenen Klamauk abgewatscht – es war Hallervordens letzte Hauptrolle für 20 Jahre. Der Wunsch, »die Gefilde des einfachen Humors zu verlassen«, wurde damals größer und größer. »Im Prinzip merkten viele schon bei ›Spott-Light‹, dass Didi nicht mehr die richtige Anrede ist«, sagt der Schauspieler.

Doch die großen Angebote blieben aus: »Wahrscheinlich hat ihm das damals keiner zugetraut«, vermutet Harald Effenberg. »Er war ja bereits ein Star, da wollte er bestimmt nicht rumlaufen und für ernste Rollen Klinken putzen.« Hallervorden stürzte sich stattdessen ins Theaterleben – als Produzent, Regisseur und Schauspieler. Die Renovierung des Schlosspark Theaters ließ er sich 1,7 Millionen kosten: »Ohne Didi hätte ich dafür nicht das Geld gehabt.«

»Das Kind« war 2012 der Auftakt für Dieter Hallervordens Rückkehr in die Kinos – diesmal als Charakterdarsteller. Ein Jahr später folgte »Sein letztes Rennen« und der Deutsche Filmpreis. Die Kritiker jubelten und schrieben, dass Hallervorden endlich am Ziel sei und gezeigt hat, was in ihm steckt. So, als hätte er das nicht schon immer getan. Bereits in »Nonstop Nonsens« finden sich Sketche, in denen sein Humor schwarz und boshaft funkelt: »Wenn einer in einen Laden kommt und nach dem Körbchen mit Pilzen fragt, das er vor zwei Jahren abgegeben hat, dann kann man schon sagen: Da will jemand die Ordnung stören.«

Trotzdem ist Dieter Hallervorden kein Unruhestifter; schon im Lachen selbst liegt ja etwas Befreiendes. Didi, Otto oder Ingo Insterburg blödelten in den Siebzigern an gegen den grauen Geist der Nachkriegszeit. Inspiriert von dem britischen Gesichtsakrobaten Marty Feldmann, den Hallervorden fürs Fernsehen synchronisiert hat. Otto ist bis heute bei seiner Rolle geblieben. Für Hallervorden ist das Blödeln erst mal durch. Mit heutigen Komikern kann er deshalb wenig anfangen: »Bei Anke Engelke schalte ich ein, bei Olli Dittrich schalte ich ein«, sagt er. »Für die anderen bin ich vermutlich zu alt, aber die entsprechen auch nicht meinen Qualitätsmerkmalen.«

Die liegen jetzt auf der Höhe des Komödienklassikers Molière und nicht mehr beim zeitgeistigen Personal der deutschen Comedyshows: »Das ist ja gar kein Vergleich. Das eine ist ein erstklassiges Chateaubriand, das andere eben nur ’ne verkohlte Currywurst.« Hallervorden meistert jede große Rolle – nur manchmal vergreift er sich ein bisschen im Ton.

Jürgen Ziemer

Erschienen in DB mobil 1/2015

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