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„Keine befreite Oase“

Der Musiker Andreas Spechtl will Teil einer „Gang der letzten Gangstereien“ sein. Doch Bands sind heute leider kaum noch erfolgreich.

Nach sieben Jahren Pause gibt es ein neues Album von Ja, Panik, es heißt Die Gruppe. Mit Liedern zwischen Verzweiflung und Eleganz passen die in Berlin lebenden Exilanten aus dem österreichischen Burgenland perfekt in den Lockdown. „Eine Gruppe möcht’ ich sein“, singt Andreas Spechtl im Titelsong. Und als Hörer spürt man seine Sehnsucht, Teil einer „Gang der letzten Gangstereien“ zu sein, wie es dort auch heißt. Spechtl ist also genau der richtige Gesprächspartner dafür, die These zu diskutieren, die jüngst die britische Tageszeitung The Guardian aufstellte: Junge Menschen hätten an Pop- und Rockbands kein Interesse mehr.

Herr Spechtl, was ist der Unterschied zwischen einer Band und einer Gruppe ?
Andreas Spechtl: Die Band Ja, Panik versteht sich als Teil der Gruppe
Ja, Panik. Das ist ein Lebensmodell, eine Freundschaft“, eine Form der Zusammenarbeit, oder so etwas wie eine Firma. Wir haben in Wien und Berlin in WGs zusammengelebt, gemeinsam ein Buch geschrieben, viele unserer Videos selbst gemacht, und auch die Cover unserer Platten. Schnöde im Proberaum zu stehen und miteinander Gitarre zu spielen hätte uns gar nicht so interessiert.

Der „Guardian“ berichtete kürzlich, dass es Pop- und Rockbands nur noch selten in die Charts schaffen. Lediglich neun Bands erreichten im März die britischen Top 100. Bei Spotify sieht es ähnlich aus. Gehört die Zukunft den Solokünstlern? Sie haben unter Ihrem Namen ja auch drei Alben veröffentlicht.

Grundsätzlich gibt es heute viel mehr Musik als früher. Digitale Vertriebs- und Aufnahme-Technik machen es möglich, dass immer mehr Musiker aus dem eigenen Schlafzimmer heraus produzieren. Das hätte man vor 25 Jahren so noch nicht machen können – und da passieren tolle Sachen. Gleichzeitig gibt es aber auch die anderen, die ein Gegenüber brauchen: Wenn man Lieder schreibt, ist die Band meist die erste Gelegenheit, anderen etwas vorzuspielen.

Für Plattenfirmen haben Solokünstler einen ganz entscheidenden Vorteil: Sie sind kostengünstiger und einfacher zu betreuen.

Klar, es ist auf jeden Fall teurer, mit vier oder fünf Musikern unterwegs zu sein. Die Band ist zum Hobby des Musikers geworden, der sein Geld mit anderen Dingen verdient. Die klassische Idee von der Indie-Band, die zwar nicht reich wird, aber immerhin die Miete zahlen kann, ist spätestens seit Ende der 1990er tot.

Wie ist denn die finanzielle Lage bei Ja, Panik?

Als wir in einer WG zusammenwohnten und im Anderthalb-Jahre-Takt Platten aufgenommen haben, da ging es, auf Biegen und Brechen. Aber schon damals war uns allen klar: So geht das nicht ewig weiter. Nun haben wir sieben Jahre lang keine Platte gemacht. Jeder musste einen Platz in der Welt finden, schauen, dass er irgendwie Kohle ranschafft und so sein finanzielles Leben zum Laufen kriegt. Mit diesem Background lässt sich eine Band ganz anders handhaben. Es ist ein bisschen ein Luxus-Projekt – aber das hat der aktuellen Platte und der Band gutgetan.

Vier Freunde aus der Arbeiterklasse, die sich nach oben spielen, die neue Sounds und Stile entdecken und so Teil eines gesellschaftlichen Wandels werden: Geschichten wie die der Beatles findet man heute nicht mehr, Rockmusik hat inzwischen etwas Anachronistisches. Wie sehen Sie das?

Ja, das alles wurde schon wahnsinnig oft erzählt, und es hat etwas extrem Kumpelhaftes. Es ist eine männliche und sehr westliche Geschichte. Bei Konzerten hat man als Band dennoch einen unschlagbaren Vorteil gegenüber Solokünstlern. Oben auf der Bühne ist man eine Art Gang, und wenn irgendwas nicht gut läuft, kannst du dich darauf zurückziehen.

Mit der Gitarristin und Keyboarderin Laura Landergott und der Saxofonistin Rabea Erradi gehören nun auch zwei Frauen zu dieser Gang, Erradi bisher eher lose. Wie wirkt sich das aus?

Ich kann die Frage nur schwer beantworten. Mit zwei Frauen ist es in unserem Fall wie mit zwei Musikern, mit denen man sich gut versteht. Die wurden ja nicht auf ihr Geschlecht hin gecastet. Laura Landergott kennen wir schon ganz lange, sie ist auch Wienerin und zog nach unserer letzten Platte Libertatia, zur Tour, zufällig wieder nach Wien. Laura war und ist einfach die coolste Gitarristin, die ich kenne, und da nehme ich auch die männlichen Gitarristen mit rein. Da wurde keine Sekunde drüber nachgedacht, sie war für uns die beste Wahl, abseits vom Geschlecht. In der Welt, die ich mir vorstelle, muss man nicht darüber nachdenken. Aber das ist vielleicht eine privilegierte Geschichte, eigentlich bin ich für die Quote, sonst bleiben gewisse gesellschaftliche Gruppen in jeglicher Hinsicht unsichtbar.

Die vorbereitenden Demo-Aufnahmen für das Album haben Sie im Alleingang in Tunesien eingespielt. Sind Sie letztlich doch ein Einzelgänger und Solokünstler?

Ach, das war eher Zufall. Eine Freundin hat in Tunesien eine kleine Wohnung. Ich hatte die Lieder für das neue Album zwischen 2017 und 2019 geschrieben, ein wahnsinniger Wust auf meiner Festplatte und in meinen Notizbüchern. Ich musste mich hinsetzen, das in Ordnung bringen und die Stücke fertig schreiben. Ich war dann sechs Wochen in Tunesien, komplett allein, und habe da eigentlich nur gearbeitet. Mit Schiff und Zug bin ich dann über Italien zurückgefahren und kam dort direkt in den ersten Lockdown. Das war total absurd – ich hatte ja auch noch diese Stücke, mit Titeln wie Enter Exit oder Apocalypse or Revolution.

Dann ist „Die Gruppe“ ja auch eine Art Lockdown-Album, oder?

Was die Aufnahmen angeht, ja, die Songs selbst sind alle älter, ich habe bloß einzelne Details daran geändert. Die Zeile „Life’s a dream on livestream“ habe ich schon während meines Aufenthalts im Iran geschrieben. Während des Lockdowns musste ich oft an das Leben – zumindest das Leben, wie ich es mitbekommen habe – der jungen, regimekritischen Student*innen in Teheran denken: Alles passiert im privaten Rahmen, draußen ist quasi Feindesland, in das du nur zum Einkaufen gehst. Wenn du dich mit der Welt verbindest, dann tust du das über Streams, Zoom oder Skype.

Der Song „Apocalypse or Revolution“ beschreibt einen Albtraum, der sich auch als Parabel auf unsere gesellschaftliche Gegenwart lesen lässt. „Wenn du wartest auf die Nacht, aber das Licht niemals erlischt“ – man denkt an die Situation unter Covid-19, aber auch daran, dass sich grundsätzlich einiges ändern muss.

Wie die anderen Stücke entstand auch dieses vor Corona. Aber vieles, was in dieser Krise Probleme verursacht, ist ja nicht neu. Das einzig Neue an der Krise ist das Virus selbst. Alles, was lange vor sich hin geschlummert hat, bricht jetzt im Schwall heraus: Im Sozialen, im Wirtschaftlichen, der Mindestlohn, die Art und Weise, wie weltweit Güter und jetzt der Impfstoff verteilt werden – keines der Corona-Probleme ist neu und geht auf das Virus selbst zurück.

Was also tun? Den Kapitalismus abschaffen?

Puh, das können Sie mich alle zwei Wochen fragen, und ich werde jedes Mal anders ratlos antworten. Aber das ist eine Grundfrage, die sich durch ganz viele Stücke von Ja, Panik zieht – überhaupt durch die Gruppe Ja, Panik. Man darf sich nicht verheddern zwischen Neben- und Hauptwidersprüchen. Wir haben alle nur eine beschränkte Lebenszeit, und es geht schon auch um das schöne Leben im Hier und Jetzt. Da ist Ja, Panik ein Experimentierfeld dafür, was es bedeutet, über Musik hinaus eine Gruppe zu sein.

INTERVIEW: JÜRGEN ZIEMER

Die Band

Ja, Panik wird gerne in die Diskurs-Pop-Schublade gesteckt, nicht zuletzt wegen der poetisch-kritischen zweisprachigen Texte. Andreas Spechtl und Bassist Stefan Pabst kennen sich seit ihrer Kindheit, Schlagzeuger Sebastian Janata wurde nach dem Debütalbum 2006 Teil der Band. Sie wohnten in Wien und später in Berlin zusammen in einer WG. Mit der gemeinsam geschriebenen Bandbiografie Futur II (Verbrecher Verlag) verabschiedete sich Ja, Panik 2014 in eine zunächst ungewisse Zukunft – die Bandmitglieder hielten aber weiterhin Kontakt. Mit leicht veränderter Besetzung erscheint nun das Album Die Gruppe. Die Songs erzählen von Isolation und Angst im Kapitalismus, denken nach über Apocalypse or Revolution. Dass Sänger Andreas Spechtl Bob Dylan liebt, ist manchmal unüberhörbar, und über all den Schwanengesängen liegt ein leicht morbider Glamour, der auch ein wenig an Roxy Music erinnert.

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