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THE FILTHY WORLD OF JOHN WATERS

Foto: Greg Gorman

Die Independent-Film-Legende John Waters tourt zum ersten Mal durch Deutschland. Jürgen Ziemer sprach mit ihm über die Würde des schlechten Geschmacks

William S. Burroughs hat Ihnen mal einen Titel verliehen, der seit Jahrzehnten an Ihren Hacken klebt wie ein Hundehaufen: The Pope of Trash.

John Waters: Wenn man Burroughs so liebt und verehrt wie ich, ist das eine Ehre. Ich habe seine Bücher schon während der Highschool gelesen. Die Lehrer meiner katholischen Schule freuten sich über mein Interesse an Literatur. Von Burroughs oder Jean Genet hatten die Dummköpfe aber noch nie gehört. Auch Marquis de Sade habe ich verschlungen: Die 120 Tage von Sodom hat mir gefallen. Alle freuten sich damals über meinen Eifer: Hauptsache, er liest. Später habe ich Burroughs persönlich kennengelernt und wir wurden Freunde bis zu seinem Tod.

Also mögen Sie Ihr Image?
Aber ja! Später hat man mir noch eine ganze Reihe ähnlicher Titel angehängt: The Lord of Puke, Anal Ambassador, Ajatollah of Assholes, Duke of Dirt. Alles Namen, die ich mit Demut trage.

Dann lassen Sie uns mal ganz demütig, oder sagen wir: ernsthaft über Schmutz und Hässlichkeit reden. In den 60er Jahren, als Sie anfingen, sich damit zu beschäftigen, standen Begriffe wie Trash und Bad Taste für eine ideelle Revolution in der Kunst – für den Camp-Gedanken, für eine andere Ästhetik und eine Befreiung. Heute hat sich der Umgang mit dem Trash ins Gegenteil verkehrt.
Ja, es gibt schlimme Hollywood-Komödien und unerträgliche Reality-Shows, in denen das Hässliche und Schmutzige vorgeführt, zur Schau gestellt wird. Das ist Bad Taste, aber ohne jedes Vergnügen, ohne Originalität und Klasse.

In Deutschland gibt es den Begriff „Unterschichtsfernsehen“.
Mit so etwas vermittelt man dem Zuschauer das Gefühl, es sei völlig richtig, sich überlegen zu fühlen und auf andere herabzublicken. So etwas habe ich nie getan. Ganz im Gegenteil: Mir ging es darum, Interesse und Bewunderung für Menschen zu wecken, die den Mut haben, ihren eigenen Stil zu kultivieren. Was heute unter Bad Taste läuft, ist oft einfach würdelos. Es steht weniger für Freiheit, als vielmehr für Gleichgültigkeit.

Was haben zum Beispiel Teenager da noch für Möglichkeiten? Nicht einverstanden sein, anders aussehen wollen: Ist eine Rebellion noch möglich?
Es ist immer noch die Pflicht junger Menschen, uns zu überraschen und zu erschrecken. Es hat sich allerdings einiges verändert: Jugendliche Delinquenten wohnen heute so lange im Haus ihrer Eltern, bis die sie endlich hinauswerfen. Man sieht sie monatelang nicht, stellt ihnen aber regelmäßig das Essen vor die Zimmertür, während sie mit ihrem Computer die Webseiten von Firmen und Regierungen lahmlegen. So sieht heute ein jugendlicher Krawallmacher aus! Das ist ein großer Unterschied zu Marlon Brando und James Dean in den 50ern. Aber sie haben garantiert genauso viel Spaß.

Haben Ihre Eltern Ihnen auch das Essen vor die Zimmertür gestellt?
Ich war ein schlimmer Finger, ein Yippie. Ein Punk, gefangen im Körper eines Hippies. Während mein Onkel für Nixon arbeitete, veranstalteten meine Freunde und ich eine Randale nach der anderen. Es war oft auch peinlich! Dennoch haben mich meine Eltern immer unterstützt. Selbst wenn sie heimlich beteten, ich möge einen anderen Pfad einschlagen.

Schon in Ihren frühen Filmen wie Multiple Maniacs (1970) oder Female Trouble (1974) ergreifen Sie radikal Partei für sexuelle Minderheiten und gesellschaftliche Außenseiter. Die Hauptfigur in Hairspray (1981) ist die übergewichtige Tracy Turnblad, ein Teenie aus dem Prekariat. Wie würden Sie Ihre politische Haltung als Filmemacher beschreiben?
Zunächst einmal glaube ich, dass jede Art von Humor politisch ist. Ich habe meine Filme aber nie als Tribüne benutzt, um die Gesellschaft zu verändern. Man muss die Leute erst zum Lachen bringen – dann kann man mit ihnen auch über Inhalte reden. In meiner Jugend war der Begriff „Outsider“ ein ein echtes Schimpfwort Heute möchte jeder auf die eine oder andere Art ein Außenseiter sein. Jeder hält sich selbst für einen originellen Querdenker. Auch wenn das kein bisschen stimmt! Da möchte ich lieber ein Insider sein – am besten ein Insider mit Macht.

Hat Ihr Coming-out Sie zum Outsider oder zum Insider gemacht? Wie lief das damals bei Ihnen?
Ein Coming-out? Ich hatte nie eins! Klingt wie ein schlechter Witz, ist aber wahr. Ich habe schon immer offen schwul gelebt und war sogar auf den Titeln der ersten Gay-Magazine zu sehen. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass meine Vorlieben längst bekannt sind. Doch nach einem Interview mit der Mainstream-Zeitung USA Today sagte mein Vater plötzlich zu mir: „Ich habe ja geahnt, dass du schwul bist, aber musstest du das unbedingt auch USA Today mitteilen“? Dass ich auf dem Cover des schwulen Out-Magazins war, störte ihn nicht. Aber bei einem Magazin, das alle seine Freunde lesen, war das etwas anderes. Meine Eltern wollten ohnehin nie so genau wissen, was mit mir los ist. Sie dachten wohl, es sei etwas viel Schlimmeres als Homosexualität.

Oft geht es in der Schwulen-Szene sehr adrett zu, gar nicht „filthy“.
Oh ja! Als ich zum ersten Mal in einer Gay-Bar war, saßen dort lauter nette Jungs in netten Pullis in kleinen Sitzgruppen, und es gab Tischtelefone. Manchmal klingelte eins und jemand sagte: „Hi, ich sitze an Tisch Nummer 9, darf ich dir einen Drink bestellen?“ Und ich dachte: Hmm, ich mag ja schwul sein, aber nicht auf diese Art. Dagegen habe ich rebelliert, die schwule Welt meiner Jugend war mir immer viel zu brav und spießig. Auch heute noch bin ich gegen jeden Separatismus: Ich gehe ebenso ungern in reine Gay-Bars wie in ausgewiesene Hetero-Bars. Ich mag es gemischt. Die einzige echte Hetero-Kneipe, die ich regelmäßig besuche, liegt in Provincetown (Anm: ein Küstenstädtchen in Massachusetts, Waters verbringt dort seit Jahrzehnten den Sommer). Denn dort gehören gefühlte 95 Prozent der Einwohner zur Gay-Community.

Sie haben sich für die sogenannte Homo-Ehe stark gemacht, sind aber nicht verheiratet.
Ich habe keine Lust die Traditionen der Heterosexuellen zu imitieren. Ich hasse Hochzeiten.

Einer Ihrer wichtigsten Schauspieler war Harris Glenn Milstead (1945-1988), besser bekannt als Drag Queen Divine. Wie haben Sie sich kennengelernt?
Als ich 17 war, zog er mit seinen Eltern in unsere Straße. Wir trafen uns durch meine Freundin Carol, die ziemlich genau so aussah, wie die Figur, die Divine später in Female Trouble spielte: Ein 16-jähriges Bad Girl, deren wasserstoffblonde Haare leicht ins Grünliche changierten, so als hätte man sie durch einen stark gechlorten Swimingpool gezogen. Carol und Divine spielten oft zusammen Poker und benutzten den gleichen weißen Lippenstift. Divine war sehr feminin. Aber er ging als Teenager kaum aus dem Haus, weil er sich für einen übergewichtigen Nerd hielt. Erst später wurde er zur Drag Queen. Auch das Make-Up und die Garderobe in meinen Filmen inspirierten ihn dazu. Er wurde dann tatsächlich zu dieser Figur, die wir erfunden hatten, um Hippies zu erschrecken, denn das ist gut.

Vor zehn Jahren kam Ihr vorerst letzter Film in die Kinos, A Dirty Shame, mit Stars wie Chris Isaak und Kultfiguren wie Patty Hearst. Warum drehen Sie keine Filme mehr?.
Fast alle Regisseure aus der Indiependent-Branche, die wie ich mit einem Budget von fünf Millionen Dollar arbeiten, haben aufgehört Filme zu machen. Macht man das in Deutschland etwa noch? In Amerika ist das gelaufen. Entweder man gibt gleich hundert Millionen aus und sorgt für reichlich Special-Effects. Oder man verlangt von den Regisseuren, dass sie Filme für 500.000 Dollar drehen. Aber das kann und will ich mir heute nicht mehr leisten. Ich möchte kein trauriger 67-jähriger Underground-Filmemacher sein. Daraus ist letztlich auch meine Performance-Show This Filthy World entstanden. Einen Film brauche ich dafür heute nicht mehr.

Demnächst sind Sie mit This Filthy World in Deutschland unterwegs. Was genau passiert da?
Ich rede über jede nur denkbare Obsession. Über sexuelle Minderheiten, Verbrechen, Mode, Kunst, Politik und darüber, wie ich eine neurotische Familie überlebt habe. Irgendwann werde ich sicher wieder mal versuchen, Filme zu machen, aber im Moment bin ich als Autor glücklicher. Nach meinem Buch Rolemodels (Porträts von Menschen, die Waters inspiriert haben) kommt im Juni mein neues Buch heraus, es heißt Carsick

Worum geht es da?
Ich bin allein von meinem Haus in Baltimore zu meiner Wohnung in San Francisco getrampt, um mal zu sehen, was mir alles passiert. Neun Tage und 21 Fahrten habe ich dafür gebraucht. Es ist ein sehr optimistisches Buch, auch wenn es manchmal eine Quälerei war.

Wird der Besuch in Deutschland auch eine Quälerei werden?
Ich hoffe nicht! In Berlin war ich zum ersten Mal, als die Mauer noch stand. Ich war in einem Club namens Dschungel tanzen und lernte Rainer Werner Fassbinder und Werner Herzog kennen. In Essen habe ich einmal Fußballspiel angepfiffen. Und ich muss sagen: Es hat mir gefallen.

Das Gespräch führte Jürgen Ziemer.

Dieses Interview ist erschienen in Der Freitag Ausgabe 5/14 

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