Selbst eine Schnulze von Heintje wird zur abgründigen Betrachtung: Die Do-it-yourself-Band Laing legt eine fulminante Platte vor und geht auf Tour. Eine Begegnung mit Nicola Rost, ihrer Frontfrau.
Ich sah auf meine Hand und dachte: Soll ich erst kotzen oder gleich in Ohnmacht fallen?“ Nicola Rost findet auch im Alltag stets passende Worte für die Dinge, die ihr nahegehen. Bis vor einer Stunde arbeitete die 28-jährige Berlinerin noch an einem Video für die neue Single Safari – in einem Kochstudio voller scharfer Messer. Jetzt steht die Chefin der Band Laing mit verbundener rechter Hand in der Notfallambulanz der St. Hedwig-Kliniken und grinst entschuldigend: „Mein Fehler. Ich wollte beweisen, dass es möglich ist, extrem schnell Gemüse zu hobeln.“ Nicola Rost erzählt die Story wie eine amüsante Anekdote – Jammern ist bei Laing nicht angesagt, Selbstbewusstsein schon. Wechselt die Beleuchtung heißt das neue Album, die Musik glitzert wie eine Discokugel am Wochenende. Die schnoddrigen Texte sorgen dafür, dass auch der Rest der Woche vertreten ist.
Bekannt wurden die vier Berlinerinnen 2012 durch eine Elektro-Version des alten Trude-Herr-Schlagers Morgens bin ich immer müde. Bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest erreichten sie damit aus dem Stand einen beachtlichen zweiten Platz, hinter Xavier Naidoo und Kool Savas. Doch wohl fühlen sich Laing bei solchen Popwettbewerben nicht. Wenn alle gegen alle kämpfen, bringt das keinen weiter – am wenigsten die Kunst. Richtig munter werden die vier Frauen eher in Clubs wie dem Hamburger Hafenklang: Wo sonst Metalbands die Wände zum Beben bringen oder die Goldenen Zitronen das System infrage stellen, präsentieren sich Laing als ironisches Update der Supremes. In einheitlichen schwarzen Minikleidern, deren aufgedruckte weiße Buchstaben zusammen den Namen LAING ergeben, stehen sie auf der Bühne und ziehen in perfekter Choreografie und mit exakten Chorsätzen eine enorm selbstbewusste Show durch. Früher hätte man von „Power-Frauen“ geschwärmt oder einen lässigen Feminismus entdeckt. Aber ist das heute noch ein Kriterium?
Nicola Rost hat die Notfallambulanz verlassen und sitzt jetzt auf einem Klappstuhl vor der letzten ambitionslosen Eckkneipe von Berlin-Mitte. „Ich bin immer so“, sagt sie, „so zack, zack, ohne lange nachzudenken. Ich packe Sachen an. Aber manchmal zu fest.“ Vor Kurzem hat sie ihr Politologie-Studium abgeschlossen. Der ursprüngliche Plan, in der politischen Bildung zu arbeiten, ist schon wieder gekippt. Die Arbeit mit Laing bietet ihr mehr Möglichkeiten. „Bei mir ist alles Trial and Error. Meine größte Stärke ist meine größte Schwäche“, sagt sie und verknotet zappelig die Beine auf dem Stuhl. „Ich habe schon Videos gedreht und Kostüme geschneidert – aber ich bin weder Regisseurin noch Modedesignerin. Und ich komme auch nicht aus dem Umfeld von professionellen Musikern.“
Weil Nicola Rost weder Gitarre noch Klavier beherrscht, schreibt sie alle Songs am Computer. 2007 hat sie die ersten auf MySpace hochgeladen. Wenn sie davon erzählt, spürt man noch heute das Herzklopfen von damals. Laing stehen in der langen Tradition der Do-it-yourself-Bands – jener Sorte Musiker, die ihr Wohnzimmer als Studio begreifen und einem gesunden Dilettantismus den Vorzug geben vor makellos produzierter Dutzendware. DIY bedeutet hier: Man läuft einfach los und probiert sich aus. Es ist eine fiebrige Spätpunk-Attitüde, aus der der Pop von Laing Kraft und Zauber schöpft. Mit dem Unterschied, dass Nicola Rost von Anfang an noch ein kleines bisschen spontaner, gewitzter, schneller sein wollte.
Schon damals nannte sie sich Laing, nach dem Mädchennamen ihrer Mutter. Eine Band gab es allerdings noch nicht: „Beim ersten Auftritt stand ich dann ganz allein auf der Bühne, nur ich und mein Ghettoblaster. Das war total unsexy.“ Also holte sie die Sängerinnen Johanna Marshall und Larissa Pesch sowie die Tänzerin und Choreografin Marisa Akeny dazu. Eine klassische Band ist das Quartett trotzdem nicht. Schon weil Rost, von den Gesangs- und Tanzeinlagen abgesehen, fast alles selber macht. „Die Mädels verabschieden sich nach den Konzerten und sind raus. Ich bin die Getriebene, die immer weitermuss.“
Davon, dass es ganz so schlimm nicht sein kann, zeugen der Witz und die Leichtigkeit des neuen Albums Wechselt die Beleuchtung. „Ich kenn nen Fuchs und ’n Faultier / Ich kenn nen Schoßhund und nen Dinosaurier“, singt Rost in Safari, und es dauert ein paar Sekunden, bis der Hörer begreift, dass er es hier nicht mit Einlassungen zur Botanik, sondern einer Fabel über das Paarungsverhalten junger Großstädter zu tun hat. „Manche sind leicht in der Pflege, manche kosten Kraft / Manche mögen ihr Gehege, manche brauchen Platz.“ Das erinnert an Rapper wie Peter Fox oder K.I.Z. – aber auch an Erich Kästner und Kurt Tucholsky: „Für mich sind das wichtige Einflüsse, die schreiben schnörkellos, unverblümt und kommen eigentlich ganz simpel daher. Doch mit diesen einfachen Worten bauen Kästner und Tucholsky Sätze, die mich immer wieder faszinieren.“
Mehr noch als beim Debütalbum Paradies Naiv gelingen Laing auf Wechselt die Beleuchtung Momentaufnahmen aus einem urbanen Alltag, der zunehmend schneller und härter wird. Zeig deine Muskeln präsentiert das Fitnessstudio als Ort der ästhetischen Aufrüstung: „Zeig mir, wie lange du rennst / Bleck deine Zähne für mich, während du Gewichte stemmst“, kommandiert die Sängerin, so als würde sie einen Rassehund oder ein Rennpferd vorführen. „Enttäuschst du mich, enttäusch ich dich / Machst du schlapp, will ich dich nicht“, kommentiert der Chor. „Ich kann das trotzdem nicht erbärmlich finden“, sagt Nicola Rost, „weil ich es ja selbst mitmache.“ Und was fürs Fitnessstudio gilt, gilt auch für den gewöhnlichen Alltag.
Das Bekenntnis, Teil des Systems zu sein, unterscheidet die Songschreiberin von vielen Kolleginnen und Kollegen, die sich entweder in eine gemütliche Szene-Boheme flüchten oder ausschließlich ihre Befindlichkeiten zum Thema machen. Rost schützt sich davor durch eine Ironie, die bisweilen ins Sarkastische schwappt. Zusammen mit der Eleganz der Musik entwickelt sich so ein für Deutschland eher ungewöhnliches Popgefühl: illusionslos, aber mit doppeltem Boden. Selbst eine Schnulze von Heintje verwandelt Rost in eine abgründige Betrachtung zum Mann-Frau-Verhältnis. Dass Laing vor riesigen Leuchtbuchstaben posieren, auf denen „Feminist“ steht – wie Beyoncé bei den diesjährigen MTV Awards –, ist trotzdem schwer vorstellbar. Viel zu viel Behauptung, viel zu viel Pose!
Das F-Wort ist Rost eher lästig. „Ich empfinde Geschlecht als Kontinuum, nicht als unterschiedliche Pole“, sagt sie, und es klingt wie: Bitte lass mich in Ruhe mit den alten Frontverläufen! Dann erzählt sie von einem Konzert, das Laing zusammen mit den Rappern von K.I.Z. im Berliner Lido gegeben haben – am Weltfrauentag und nur vor Frauen. Das Ganze war als „Wiedergutmachungskonzert“ gedacht für all die realen oder vermeintlichen Sexismen, die im Hip-Hop-Alltag an der Tagesordnung sind. Es hört sich absurd an: vier Typen mit dicker Hose und vier pragmatisch denkende Alphamädchen zusammen auf einer Bühne.
Das Tolle: Irgendwie hat es trotzdem funktioniert, die Frauen gingen begeistert mit, kreischten und tobten zur Musik. Zu fortgeschrittener Stunde kamen sie dann, die Chöre: „Ausziehen! Ausziehen! Ausziehen!“ Einen Moment war Nicola Rost kurz davor nachzugeben: „Ich dachte: Euch muss ich ja nichts erzählen, in einer Umkleide würde man sich ja auch nicht zieren.“ Gut, dass sie es dann doch nicht getan hat. Wir leben schließlich in einem Zeitalter der Smartphones und Sozialen Netzwerke.
Jürgen Ziemer
Erschienen in Die Zeit 39/2014