Star im eigenen Film: Lana del Rey gibt dem Pop die ganz große Pose zurück
Pop hat den Glauben an die Zukunft verloren. Es ist längst nicht mehr die Frage ob die Vergangenheit recycelt wird, sondern nur noch wie. Die Sängerin Lana del Rey hat sich dafür ein besonders reizvolles Konzept ausgedacht: „Gangsta Nancy Sinatra“ nennt sie sich ironisch und verbindet den Girl-Pop der Sechziger mit der dunklen Attitüde des HipHop. Nicht allein die Musik steht dabei im Vordergrund, sondern das Gesamtkunstwerk eines All American Popstars, die Stilisierung eines Lebens zwischen Hollywood und Trailerpark. Lana del Reys Songs klingen wie melodiesatte Klassiker, die kontroverse Inszenierung ihrer Person, als „Rich Daddy’s Girl“ und ehemalige Trailerpark-Bewohnerin, wirkt dagegen fast drastisch: Vom ersten Vorschuss ihrer neuen Plattenfirma hat sie sich die Lippen aufspritzen lassen, eine Tatsache, die im Internet seit Monaten lebhaft diskutiert wird. Auf der Seite des österreichischen Rundfunks ORF findet sich eine besonders gewagte These: „Der Verdacht liegt sogar nahe, das Gesicht wurde absichtlich „verspritzt“ – um den „dirty look“ des gefallenen Mädchens, das sich trotz aller Schicksalsschläge nicht unterkriegen lässt, noch zu verstärken“. Wo die Realität in Fiktion übergeht – bei Lana del Rey ist das eine Frage der Sichtweise.
Fast täglich postet die 24-jährige auf Facebook. Ein ganzes Jahr ihrer noch jungen Karriere lässt sich so zurückverfolgen: Zuerst jubelten die Blogs, dann die wichtigen Musikseiten, und schließlich auch seriöse Tageszeitungen wie Guardian und Observer. Mit Hilfe des sozialen Netzwerks gelingt es der Künstlerin ihr eigenes Image zu definieren, ehe die klassischen Medien ihr zuvorkommen: Eine raffinierte Mischung aus Hochkultur und Trash breitet sich so vor dem Betrachter aus; eine Welt der Bilder und Andeutungen, glamourös und todtraurig zugleich. Die Frage, ob das echt ist oder die Umsetzung eines genialen Marketing-Konzepts? – bleibt vorerst unbeantwortet.
Doch egal wie die Antwort ausfällt – die Sängerin ist immerhin seit anderthalb Jahren beim Musikkonzern Universal unter Vertrag – die Rechnung geht auf: Lana del Rey gilt vielen als Newcomerin des Jahres. Ihre Debüt-Single „Video Games“, die an diesem Wochenende offiziell erscheint, erhielt innerhalb eines Monats bei YouTube weit mehr als eine Million Klicks. „I heard that you like the bad girls Honey, is that true?“ gurrt die Sängerin mit einer Stimme zwischen Julie London und Nancy Sinatra zur hemmungslos bombastischen, aber auch tief berührenden Musik. Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Ende einer Liebe und dem Ende der Welt – so lautet die melodramatische Botschaft des Songs, der problemlos im Abspann eines Douglas-Sirk-Films laufen könnte. Lana del Rey treibt ein elegantes Spiel mit der „Größer-als-das Leben“-Haltung des alten Hollywood. Wenn sie einen Jazz-Song singt, dann klingt das Klirren der Eiswürfel im Whiskey-Tumbler immer mit.
Bereits mit Siebzehn war Lana del Rey eine frühreife Sängerin und Songwriterin – nun möchte sie in der Lady-Gaga-Arena reüssieren. „Früher habe ich Gitarre gespielt und dazu gesungen, in kleinen Clubs in Brooklyn und der Lower Eastside. Seit ich meine Nägel habe geht das nicht mehr so gut“. Wie zum Beweis hebt Lana del Rey ihre Hände über den Tisch und präsentiert die langen türkis- und perlmuttfarbenen Fingernägel mit den winzigen Glitzer-Applikationen. Auf der Rechten thront ein mit Strass besetzter „Schlagring“ in Form eines Dollarzeichens.
Lana del Rey heißt in Wirklichkeit Elisabeth „Lizzy“ Grant, als Tochter eines erfolgreichen Unternehmers ist sie im idyllischen Wintersport-Ort Lake Placid aufgewachsen. Im Moment sitzt sie auf der Dachterrasse eines schicken New Yorker Privat-Clubs und sieht aus, als käme sie direkt vom Set eines alten Elvis-Presley-Films. Die rotblonden Haare fallen in perfekten Kurven über die Schultern, die Wimpern sind lang und Mascara-schwarz, selbst die umstrittenen Lippen wirken einfach nur … voll. Weltgewandt bittet sie den Kellner um ein paar Oliven zu ihrem Drink und zündet sich dann so selbstverständlich eine Zigarette an, als sei sie die junge Lana Turner und es gäbe in New York kein Rauchverbot. Nein, dies ist kein normales Interview, eher die Inszenierung eines Rendezvous mit einem Hollywoodstar. „Ich habe das alles nicht geplant, es gibt keinen Masterplan zu der überraschenden Resonanz auf „YouTube“, behauptet sie. „Meine Videos habe ich schon immer selbst produziert, mit iMovie auf meinem Notebook. Niemand schaute sich das an. Als „Video Games“ plötzlich 20.000 und mehr Klicks am Tag bekam hat mich das enorm verunsichert und irritiert“.
Das großartige Video zum Song ist ein sepiafarbener Traum, der an David Lynchs Tauchfahrten durch das Unterbewusstsein Amerikas erinnert: Teenager springen ausgelassen in einen Pool, Starlets stolpern betrunken kichernd über einen roten Teppich, die Lichter des alten Hollywood illuminieren eine scheinbar bessere Welt. Nur die amerikanische Fahne, die immer wieder auftaucht, wie ein altes Versprechen, hängt seltsam erschöpft am Mast. So als wollte dieses Video sagen: Das Beste ist längst vorbei und die meisten von uns haben es verpasst.
„In den Fünfziger und Sechziger Jahren war Pop so brandneu und leuchtend“, sagt Lana del Rey. Und weil auf der Musikanlage im Hintergrund gerade „I’m On Fire“ läuft ergänzt sie: „Bruce Springsteens war ebenfalls eine wunderbare Variation des amerikanischen Traums. Doch inzwischen scheint dieses Imperiums vor seinem Ende zu stehen. Es gibt nicht mehr so viel Hoffung und Optimismus wie früher, der Blick auf das Glück ist zynischer geworden. Die Popmusik reagiert darauf, indem sie die dunkle Seite des amerikanischen Traums erkundet“.
Lana del Rey findet diese dunkle Seite nicht unbedingt attraktiv, auch wenn sie den Rapper Tyler, The Creator mag und dessen suburbane Alptraum-Szenarien. Sie hängt zu sehr an den alten Glücksversprechen, ist eine konservative Romantikerin.
Den an ein schweres, etwas zu süßes Parfüm erinnernden Künstlernamen hat sie sich zusammen mit ihrem ersten Manager ausgedacht: „Lana del Rey gibt eine Richtung vor und definiert meine Musik seit ich mit 19 bei einem kleinen New Yorker Independent Label unterschrieben habe“. Zusammen mit dem namhaften Produzenten David Kahne – ein Grammy Preisträger, der vorher mit Paul McCartney, Tony Bennett, Stevie Nicks und den Strokes zusammenarbeitete – entstand 2008 das Debüt „Lana del Rey a.k.a. Lizzy Grant“.
Das Album wirkt wie eine hochkarätige Fingerübung. „Kill Kill„, „Yayo“ oder „Gramma“ besitzen zwar noch die Niedlichkeit des Indie-Pop, doch schon hier werden die Pop-Mythen Amerikas beschworen, als sei es das letzte Mal. „Brite Lites“ – ein überraschender House-Track – inszeniert die aggressive Sehnsucht einer suburbanen Hausfrau nach einem Leben wie in den Magazinen die beim Friseur ausliegen: „I’m taking off my wedding ring. Give me the bright lights“.
Doch nur drei Monate, nachdem es in den Handel gekommen war, verschwand das Album wieder vom Markt: „Wir haben uns mit dem alten Label vertraglich darauf geeinigt, das alte Album vom Markt zu nehmen um etwas Neues, Frisches zu beginnen“, sagt Ben Mawson, der Anwalt und Manager von Lana del Rey.
Das neue Management und die neue Plattenfirma haben die Sängerin davon überzeugt, dass sie genug Potential hat um zukünftig in einer anderen, viel größeren Liga zu spielen. Die nächsten Monate werden darüber entscheiden ob der Plan aufgeht. Doch die Reaktion der Facebook-Gemeinde, auf die Ankündigung einer kurzen Welt-Tournee, die Lana del Rey im November auch nach Köln und Berlin führen wird, gibt Anlass zu großen Erwartungen: „Ich versuche Tickets zu bekommen, für jedes Konzert in Europa. Egal wie weit ich reisen muss und wie lang es dauert“, schreibt ein junger Schweizer. Er wird schnell sein müssen, denn ein für Anfang Oktober angekündigtes Konzert in London war innerhalb von 30 Minuten ausverkauft.
Jürgen Ziemer
Erschienen in Die Zeit, 6. Oktober 2011