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UND AM SIEBTEN TAG SCHUF GIORGIO DISCO

Giorgio Moroder über Disco, Schlager und Olympia-Hymnen

Die Geschichte von Hansjörg Moroder beginnt 1940 in St. Ulrich, im Südtiroler Grödner Tal. Seine Vorfahren waren fromme Herrgottsschnitzer, die mit Kruzifixen und Altarbildern den Herrn Jesus und die Jungfrau Maria feierten. Hansjörg, den alle nur Giorgio nannten, feierte lieber den animalischen Hüftschwung des Rock ’n‘ Roll: „Fernsehen hat es damals nicht gegeben, deshalb habe ich Radio Luxemburg gehört und angefangen Gitarre zu spielen“, sagt er heute. Moroders Haare sind grau geworden und der Schnauzer ist nicht mehr so buschig und voluminös wie in den Siebzigern. Trotzdem gibt der Tiroler immer noch ein stattliches Mannsbild ab. Bedächtig und in einem weichen Dialekt erzählt er aus seinem Leben. Nicht wie ein Popstar, eher wie ein Handwerker, der die Qualität seiner Arbeit kennt, aber darum kein Aufheben macht. Ja, Moroder hat Disco revolutioniert und mit seinen Klangmaschinen Donna Summer zum wollüstigen Stöhnen gebracht. Er katapultierte damit die Musik einer kleinen Minderheit in den Mainstream – und hat sie trotzdem nicht verraten. Nicht alles was der Komponist, Produzent und Musiker im Lauf seiner Karriere angerichtet hat war gut. Doch er hat es verdient, dass Daft Punk ihn auf ihrem letzten Album „Random Access Memories“ wie einen Heilsbringer gefeiert haben. In „Giorgio By Moroder“ gaben sie dem 74-jährigen neun Minuten Zeit um aus seinem prallen Leben zu erzählen.

Seitdem ist der Mann wieder in aller Munde: Coldplay ließen sich von ihm remixen, auch Lady Gaga und Tony Bennett. Kelis postete auf Facebook Pläne einer Zusammenarbeit – selbst als DJ hochkarätiger Fashionshows wird der alte Disco-Fuchs inzwischen gebucht. Die Krönung dieser Wiederentdeckung eines alten Meisters soll nun „74 Is The New 24“ werden – das erste Moroder-Soloalbum seit über 30 Jahren: „Mich hat das schon überrascht“ sagt der ältere Herr, der seit den frühen Achtzigern in Los Angeles lebt. „Auf dem Album von Daft Punk habe ich ja nur gesprochen. Dass mir danach eine Plattenfirma ein ziemlich gutes Angebot macht, hat mich gewundert“.

Wirklich? Moroder ist neben Kraftwerk die größte Ikone der europäischen Club-Kultur. Dass er anfangs mit einer Tanzkapelle und einem Sack voller Coverversionen durch die Lande zog stört heute keinen mehr. Moroders damaliger Manager war der Aachener Klaus Qurini – ein Lokaljournalist und Selbstdarsteller, der als erster deutscher DJ gilt. Schon 1959 legte Quirini im „Scotch Club“ – der ältesten Disco Deutschlands – Platten auf, begleitet von launigen Moderationen wie: „Meine Damen und Herren, wir krempeln die Hosenbeine hoch und lassen Wasser in den Saal, denn „Ein Schiff wird kommen“, mit Lale Andersen“. „Ich bin damals live im „Scotch Club“ aufgetreten, hab aber auch Platten mitgebracht und aufgelegt. Das System mit den zwei Plattenspielern gab es damals noch gar nicht. Wenn eine Single fertig war, kam eben eine andere dran“ erinnert sich Moroder.

Nicht ganz so cool wie diese launigen Geschichten sind die vielen Schlager, die Moroder in den Sechzigern und frühen Siebzigern produziert hat: Ricky Shayne, Michael Holm, Uschi Glas oder Peter Maffay – viele der Stammgäste von Dieter Thomas Hecks „ZDF Hitparade“ profitierten von Moroders Talent. Ist ihm das heute peinlich? „Nein, die meisten Produktionen, ‚Mendocino‘ zum Beispiel, hatten eine gute Qualität. Ich hab damals allerdings auch Sachen gemacht, die waren wirklich schlimm, da bin ich überhaupt nicht stolz drauf“.

Die eigentliche Karriere von Moroder beginnt in München, wo er ab 1970 im eigenen „Musicland“-Studio den „Munich Sound“ erfindet. „Am Anfang war das ein ganz normales Studio. Nach einem Jahr hab ich es umgebaut und mit dem neusten 24-Spur-Mischpult technisch auf Vordermann gebracht“. Moroder erzählt das, wie ein Schreiner, der von seiner neuen Werkstatt spricht. Aber warum wurde daraus ein von Mythen umrankter Ort? „Das „Musicland“ befand sich im Keller des mondänen Arabella-Gebäudes. Die Musiker konnten mit dem Lift vom Schlafzimmer direkt ins Studio fahren um dort zu arbeiten. Es gab zwei Restaurants im Haus und unten hatte ich meistens auch einen Koch. Das war damals schon ein Luxus“. Unzählige prominente Bands wie Led Zeppelin, Queen, T. Rex oder die Rolling Stones wussten diese Annehmlichkeiten zu schätzen und mieteten sich für Album-Produktionen in München ein. Moroder war da aber schon auf einem höheren Level: „Den ersten Synthesizer spielte ich 1971 in ‚Son of My Father'“, sagt er mit hörbarem Stolz. „Emerson Lake & Palmer hatten da zwar schon „Lucky Man“ draußen, aber das war eher Rock“.

Mit dem 1975 erschienen Soloalbum „Einzelgänger“ – und noch mehr mit dem folgenden „From Here To Eternity“ – zeigt sich Moroder als mutiger Visionär zwischen experimentellem Krautrock und einem Prototyp des Techno. Leider war „Einzelgänger“ ein ziemlicher Flop. „Das Album kam einfach zu früh“, sagt Moroder. „Wenn man die Stücke heute hört, sind sie gar nicht mal so schlecht“. Da „Einzelgänger“ nie nachgepresst wurde, oder gar als CD veröffentlicht, ist das Album heute ein begehrtes Sammlerstück.

Es war die Zusammenarbeit mit der ehemaligen Musicalsängerin Donna Summer, die 1975 Musikgeschichte schrieb. „Ich habe bei „Love To Love You, Baby“ bewusst nur wenige Instrumente eingesetzt. Donna hat ja mit einer kleinen Stimme gesungen. Wenn da noch große Gitarren dazugekommen wären, dann hätte die Musik sie gestört“. Bereits in der normalen Version wirkt der Song wie eine Aufforderung zur Trance – sinnlich, kühl und sehnsuchtsvoll zugleich. Doch dann klingelte mitten in der Nacht Moroders Telefon. „Neil Bogart war dran, der Präsident von Casablanca Records. Er hatte am Vortag eine Party und seine Gäste waren verrückt nach dem Stück. Immer wieder wollten sie es hören. Bogart bat mich deshalb, davon eine extra lange Version zu machen“. Moroder tut ihm den Gefallen. Er streckt den Song nicht nur, wie üblich, sondern komponiert dazu noch lauter kleine Themen, die wie Satelliten um Donnas Hauchen und Stöhnen kreiseln. Es ist die Geburt von Disco – der Trip in ein sinnlich glamouröses Traumland, das allen offen stand, egal welcher Hautfarbe oder sexueller Orientierung. In den Clubs von New York tanzte man zwar schon länger zu einem treibenden DJ-Mix aus O’Jays, Philly-Soul, Jimmy Castor Bunch oder Manu Dibango. Doch erst „Love To Love You, Baby“ macht aus Disco ein greifbares Phänomen, ein Genre.

Mit „I Feel Love“ gingen Donna und Giorgio noch einen Schritt weiter: „Da ist einerseits dieses elektronische Hämmern, diese machiavellistische Musik, und andererseits die Stimme von Donna die eher romantisch und sexy rüberkommt“, sagt Moroder. „I Feel Love“ wirkt wie eine sexuelle Interaktion zwischen Mensch und Maschine, es ist der erste Schatten eines neuen Zeitalters. Drollig, wie unbeholfen und asexuell dagegen „Die Roboter“ von Kraftwerk klingen.

München hatte Moroder danach nichts mehr zu bieten. 1980 geht er zusammen mit Donna Summer nach Los Angeles: „Für jeden Europäer, der in der Musikbranche arbeitet, gibt es nur ein Land das zählt – und das ist Amerika. „Love To Love You“ war dort Nummer eins und die Donna wollte einfach heim. Und wo sie ist, dachte ich damals, da muss ich auch sein“.

Es folgen Zusammenarbeiten mit David Bowie, Freddie Mercury, Elton John, Phil Oakey und das grandiose Sparks-Album „No.1 In Heaven“. Und vor allem jede Menge Filmmusik: „Ich habe etwa 10 große Scores gemacht und für 20 weitere Filme Songs geschrieben“. Dafür hat man ihm Grammys, Golden Globes und drei Oscars verliehen – den ersten schon 1978, für den genialische Soundtrack zu Alan Parkers „Midnight Express“. Sehr bemerkenswert ist auch seine Mitarbeit an Paul Schraders „American Gigolo“. Das von Debbie Harry gesungene „Call Me“ funktioniert in der Eröffnungssequenz wie ein Leitmotiv, zu dem der Callboy Richard Gere Armani-Anzüge ausprobiert und im offenen Mercedes-Kabrio pazifische Highways entlang braust: „Ich habe den Song speziell auf diese Bilder hin komponiert“, sagt Moroder. „Zusammen mit dem Regisseur Paul Schrader haben wir damals überlegt, welche Band gerade „in“ ist, wer das singen kann. Blondie hatten genau das richtige Image. Ich habe Debbie Harry dann das Demo geschickt und sie hat dazu einen ganz hervorragenden Text geschrieben“.

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Giorgio Moroder redet gern über die guten alten Zeiten – selbst über die Vertonung von Fritz Langs „Metropolis“: „Leider war die Musik nicht besonders gut“. 2008 komponierte er mit „Forever Friends“ die Hymne der Olympischen Spiele in Peking. Es ist ein rustikaler Pragmatismus, der ihn zu solchen Jobs treibt: „Man muss sich da vorher nur zwei Fragen stellen: Wie wird das Lied ankommen, wenn es in einem Stadion vor 80.000 Leuten gespielt wird? Und: Wie alt sind die Herren, die entscheiden, ob das ein gutes Lied ist?“ Bei den Olympiaden in Los Angeles und Seoul lag Moroder mit seiner Einschätzung ebenso richtig, wie bei der Fußball-WM in Mailand. Er kann halt auch die soliden Hymnen und weiß was greisen Sport-Funktionären gefällt.

Eine Frage steht allerdings noch im Raum: Wird auch das neue Album „74 Is The 24“ wieder ein Hit? Die wenigen Songs, die es zum jetzigen Zeitpunkt zu hören gibt, klingen als hätte man sie den jeweiligen Interpretinnen auf den Leib geschneidert: Britney Spears, Kylie Minogue, Charlie XCX, Sia oder Foxes – da ist für jeden etwas dabei. Außer vielleicht für die Leute, die nach radikal neuer Musik suchen. Aber für die ist Moroder heute nicht mehr zuständig.

Hat sich bei Musikproduktionen im Lauf der Jahre eigentlich viel verändert? „Früher war alles persönlicher“, sagt der alte Produzent nachdenklich. „In München hatte ich drei oder vier Musiker, die haben alle Stücke eingespielt. Jetzt sitzen meine Leute in London, Hamburg, München und Los Angeles. Man schickt sich übers Internet Dateien hin und her, und die Sängerinnen arbeiten zum Teil mit eigenen Produzenten. Das ist anders als damals mit Donna, wo ich im Studio saß und ihr genau sagen konnte was ich möchte“. Moroder klingt nicht enttäuscht wenn er über die Umbrüche seiner Branche spricht. Die Dinge passieren halt. Vielleicht denkt er auch an all die Herrgottsschnitzer und Altarmaler in seiner Familie. Die haben sich auch nicht unbedingt als Künstler begriffen, sondern als Werkzeuge einer höheren Macht. Und wenn diese Macht etwas mit Liebe zu tun hat, dann hat sie auch aus Giorgio Moroder gesprochen. Und tut es hoffentlich auch weiterhin.

 Jürgen Ziemer

Veröffentlicht in Rolling Stone 3/15

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