Ist Sash Grey ein freigeistiges Multitalent – Schauspielerin, Musikerin, DJ und jetzt auch noch Autorin – oder die Einstiegsdroge in die Welt des New Porn?
Foto: © Vittorio Zunino Celotto/Getty Images
Erinnern Sie sich noch an diese albernen T-Shirts, auf denen „Pornostar“ stand, obwohl die Trägerinnen meist reichlich brav aus der Wäsche guckten. Klar, das war Ironie mit kokettem Augenaufschlag. Heute ist man sich da nicht mehr so sicher. Porno boomt – auch bei Frauen. Mehr als 40 Millionen Mal hat sich „Shades of Grey“ verkauft, die Roman-Trilogie der britischen Autorin E.L. James, deren Inhalt sich problemlos mit einem Songtitel der Ärzte zusammenfassen lässt: „Manchmal haben Frauen ein kleines bisschen Haue gern“. Die „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche, der „Zotenkönigin von Muschiland“ (Stern), brachten ähnliche Verkaufsrekorde. Selbst in mit Justin Bieber und Pferde-Fotos dekorierten Mädchenzimmern ist Porno inzwischen zuhause: Egal ob Rihanna, Lady Gaga oder gleich Lady Bitch Ray – man zeigt was man hat und wackelt dazu mit dem Arsch. „1 Night in Paris“, die Amateur-Dokumentation aus dem Schlafzimmer von Paris Hilton, bekam von der US-Pornoindustrie sogar drei Preise verliehen.
Aber Sasha Grey schlägt alle. Gerade erst 18 geworden, schreibt das Mädchen aus Sacramento im April 2006 eine Bewerbung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: „Ich sehne mich nach allen Formen sexueller Perversion. Ich bin bereit der Stoff zu sein, der jede Fantasie erfüllt“. Ein paar Wochen später bekommt sie ihre Chance: Im San Fernando Valley, dem Zentrum der amerikanischen Sex-Industrie, dreht Sasha Grey ihren ersten Porno – eine Orgie mit 12 Teilnehmern. Schon jetzt tut sie Dinge vor der Kamera, bei denen andere Frauen nicht einmal zuschauen würden. Was treibt dieses Mädchen, das erst vor anderthalb Jahren seine Unschuld verloren hat?
Die Ärztin Dr. Sharon Mitchell gibt in dem Dokumentarfilm „“9 to 5: Days in Porn“ eine mögliche Antwort: „Manche Frauen drehen an ihrem 18. Geburtstag den ersten Pornofilm und glauben, das sei die Hintertür zu einer Hollywood-Karriere. Es ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich, dass du die neue Meryl Streep wirst, wenn du deine Filmkarriere mit zwei Schwänzen im Arsch beginnst“. Mitchell weiß wovon sie spricht – sie hat selbst in über 200 Pornos mitgespielt. Nach einer Vergewaltigung, einer Hepatitis und diversen Infektionen wechselte sie das Fach.
Auch Sasha Grey hat nach 270 Pornos den Beruf gewechselt. Im Oktober erscheint ihr Romandebüt „The Juliette Society“, über das sie selbst sagt: „Sie müssen sich die „Juliette Society“ wie den „Fight Club“ vorstellen. Nur dass hier gevögelt und nicht geprügelt wird“. Bereits jetzt wird das Buch als Nachfolger von „Shades of Grey“ gehandelt und Hollywood plant eine große Kinoverfilmung. Ist Sasha Grey die Julia Roberts des Porno? Eine „Pretty Woman“, die mit Charme und Talent aus der Gosse aufsteigt und es tatsächlich nach Hollywood schafft? Es sieht fast danach aus.
Schon allein optisch unterscheidet sich die Tochter eines griechischen Einwanderers von anderen Porno-Starlets: Kleine Brüste, normale Lippen, weder Day-Glo Mascara, noch superreflektierendes Lip Gloss. Ein reizendes Mädchen von nebenan. Geboren als Marina Ann Hantzis ändert sie ihren Namen auch nicht in Cumisha, Naughtia, Uschi oder Miss Panther. Anna Karina wollte sie zuerst heißen – wie die französische Schauspielerin und Muse des Regisseurs Jean-Luc Godard. Sie entscheidet sich dann aber für Sasha Grey – wegen Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“ und dem Sänger der Band KMFDM, Sascha Konietzko. Mit 12 hat sie angefangen in Theatergruppen zu spielen, liest Anais Nin und Philip Roth, liebt die Filme von Werner Herzog und Lars van Trier. Am College hat Sasha Grey die Fächer Film, Tanz und Schauspielerei belegt – der Wille zur Kunst ist unbestreitbar da.
Doch der Alltag in der Porno-Branche sieht anders aus. 13.000 Filme werden jedes Jahr in L.A. produziert. Die wenigsten davon haben eine Story. Es geht darum Formen von Sex zu zeigen, die noch keiner gezeigt hat. „Es ist wahr, ich würde Dinge tun, die man möglicherweise niemandem zeigen kann“, sagt Sasha Grey in einer großen Reportage des Los Angeles Magazine: „Schlagen, Pinkeln, Spucken, Kotzen“. Während sie ihre Wunschliste herunterspult, schaut sie züchtig und nachdenklich. „Aber keine Scheiße“, schiebt sie ihr einziges Tabu hinterher.
Reichtümer verdient man damit nicht. Etwa 400 Dollar gibt es für einen Blow Job, 1.400 Dollar für eine Doppel-Penetration und wer sich einer gespielten Vergewaltigung aussetzt, einem Gang Bang, kann sogar 5.000 Dollar mitnehmen.
Aber will man das? Selbst wenn die Kasse stimmt: Wie viel Brutalität, Entwürdigung und Ekel kann ein Mensch aushalten, ohne sich und seine Gefühle zu verlieren? Sasha Grey hatte es nie leicht – Scheidungskind, zwei Väter, vier verschiedene Schulen, abgebrochenes College, Jobs als Kellnerin – trotzdem erfüllt sie auch mit Sperma verschmiertem Gesicht nicht das Klischee eines Opfers. „Du musst deinen Namen zur Marke machen, sagt Sasha, „daran glaube ich“. Und nach einer kleinen Pause: „Doch irgendwann brennt man aus“.
Aber nur selten kommt vorher ein Ritter in weißer Rüstung angeritten und holt einen aus dem schmuddeligen San Fernando Valley ins glamouröse Hollywood. Doch genau das ist Sasha Grey 2009 passiert. Stephen Soderbergh, der Regisseur von Filmen wie „Ocean’s Eleven“ oder „Traffic“, hatte im Los Angeles Magazine die Story über Sasha gelesen und gab ihr die Hauptrolle in „The Girlfriend Experience“. Ein ambitioniertes Drama über eine Edel-Nutte, die für viel Geld die Freundin reicher und mächtiger Männer mimt. Trotzdem gibt es keine einzige Sex-Szene. Intellektuelle Kritiker loben den Film und auch sonst gerät einiges in Bewegung.
Die Grenzen zwischen Porno und Pop verschwimmen seit einigen Jahren zusehends – und niemand verkörpert das so perfekt wie Sasha Grey. Mit ihrer Band aTelecine spielt sie finsterharten Industrial, als DJ legt sie Platten aus ihrer bemerkenswert eigenwilligen Sammlung auf. Das Mädchen mit dem Mona-Lisa-Lächeln ist nun auch in Videos von Eminem und The Roots zu sehen, oder schmückt ein Cover der Smashing Pumpkins. In der siebten Staffel der TV-Serie „Entourage“ spielt sie über mehrere Episoden sogar sich selbst – einen coolen Pornostar namens Sasha Grey, dem alle Jungs aus Hollywood zu Füßen liegen.
Als vor zwei Jahren dann der Bildband „Neü Sex“ erscheint – mit erotischen, aber nicht pornografischen Fotos – ist Sasha Grey endgültig in der Kultur-Schickeria angekommen. Auf einer Podiumsdiskussion in Frankfurt spricht sie mit der feministischen Musikerin Peaches und dem Pop-Professor Diedrich Diedrichsen über Pop-Theorie und Selbstinszenierung. Aus den kalifornischen Sweatshops der Sex-Industrie auf die Bühne der kritischen Intelligenz – ein weiter Weg. Warum sie so viele Pornos gedreht hat, will einer der Zuhörer wissen. Sasha Grey antwortet mit ihrem rätselhaften Lächeln: „Ich wollte zeigen, dass Frauen genauso pervers sein können wie Männer“. Unter einer Woge von Applaus geht die Antwort fast unter.
„Die Juliette Society“ wird vermutlich keinen Literaturpreis bekommen. Dazu ist der Roman etwas zu geschwätzig und die Story zu verworren. Aber Sasha Grey hat gezeigt, dass man es auch als „Pornostar“ weit bringen kann – solange man nicht doof ist und weiß was man will.
Jürgen Ziemer (erschienen in PETRA 10/13)