Die Band Rammstein hat ein neues Album veröffentlicht, wirklich neu sind daran höchstens die Songtitel. Doch die zur Schau gestellte toxische Männlichkeit nervt mehr denn je
Zum Schreien: Ein Videoclip von Rammstein, projiziert auf eine Berliner Hauswand Foto: Imago Images/ZUMA Press
Am Anfang war die Zeile „Ich will ficken“. Aufgeschrieben, für gut befunden und erstmals herausgebrüllt in einem Proberaum am Prenzlauer Berg. „Da dachten wir : Oh je, jaja, ob det mal so gut geht“, sagte Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz 1997 der taz. Es ging gut – über zwei Jahrzehnte. Weil immer weiter provoziert wurde, dann ein bisschen zurückgerudert und mit den Augen gezwinkert, während die Empörungswellen in den Feuilletons hoch schlugen, aber die tätowierten Kerle im Land ihren Spaß hatten.
Aber ist das heute noch okay, dass sich Till Lindemann hinstellt und zu den inzwischen wohlbekannten Wall-of-Metal-Wänden grunzt: „Du komme mit, mache guuut“, in einem Song mit dem Titel Ausländer? Oder in Hallomann ein kleines Mädchen bezirzt, wie einst Gert Fröbe in Es geschah am hellichten Tag: „Nichts wird danach wie früher sein. Sprich nicht zu mir, steig einfach ein“?
Rammstein melden sich nach zehn Jahren Pause zurück, mit einem Album ohne Titel – und leider auch ohne Ideen. Das Cover zeigt ein Streichholz, mehr nicht. Es wird reichen, um die Fantasie der Kritiker zu beflügeln. Bereits das Vorab-Video zu Deutschland sorgte mit den Rollenspielen der Musiker in KZ-Kleidung und Nazi-Uniformen für die erhoffte Empörung. Wer die Rolle der Germania mit der schwarzen Schauspielerin Ruby Commey besetzt und einen Würfelbecher voller Zeichen und Bedeutungen so heftig durchschüttelt, giert zwar eher nach medialer Aufmerksamkeit als nach Geschichtsrevisionismus. Trotzdem: Wie wird das sein, wenn bei den Konzerten Tausende Fans mit einer Stimme brüllen: „DEUTSCHLAND! Mein Herz in Flammen, will dich lieben und verdammen“? Hier dominiert nicht der Zweifel, sondern das identitätsstiftende Gefühl, Deutscher zu sein. Rammstein müssen deshalb keine Nazis sein, sie zündeln halt gern. Zu Musik, die hier oft an die Thrash-Metal-Urgesteine Kreator erinnert, durchsetzt mit den üblichen Jahrmarktsattraktionen. Die Düster-Schnulze Diamant orientiert sich an Unheilig: „Was nicht lieben kann, muss hassen“, seufzt der Zurückgewiesene. Womit wir beim größten Problem des Albums sind: toxischer Männlichkeit.
Das übliche Höllenfeuer
Auf #MeToo und einen zunehmend selbstverständlichen Feminismus reagieren Rammstein nach wie vor mit Amokläufen im eigenen Kopf: „Dann reiß ich der Puppe den Kopf ab, beiß ich der Puppe den Hals ab“, grölt Lindemann während seine Kollegen das übliche breitbeinige Höllenfeuer entfachen. Es gibt viele solcher Unhold-Karikaturen auf Rammstein. Mal sind es pädophile Priester, mal geile Ausländer, mal kranke Kinderschänder. Kurz vor der Veröffentlichung seines Soloalbums Skills in Pills (2015) sagte mir Till Lindemann: „Es ist gut, Klischees zu haben und sie zu erfüllen. Das mögen die Leute, sie orientieren sich gerne an Role Models und Stereotypen.“ Ja, das tun sie, das wussten schon die Village People, aber das weiß auch Bild.
Wer immer noch denkt, das alles sei „eher witzig“, und Rammstein, wie Andreas Borcholte auf Spon, für die „Klassenclowns der deutschen Popschule“ hält, glaubt womöglich auch, Harvey Weinstein sei ein Opfer der Medien. Interessant übrigens, dass sich Radio, die zweite Vorab-Single, als Flop erwies. Ostalgie und die Sehnsucht nach einem Ohr am Puls der Welt sind für das Publikum offenbar nicht so attraktiv, wie Lindemanns Fick-Fantasien.
Jürgen Ziemer Erschienen in Der Freitag 20/2019