In Popsongs geht es oft um Vertrauen – in den Partner, die eigenen Fähigkeiten, oder die Zukunft. Doch Dystopien haben den Utopien dabei den Rang abgelaufen.
Kennen Sie dieses Spiel, bei dem man auf einen Stuhl steigt und sich mit verbundenen Augen rückwärts fallen lässt, in der Hoffnung, dass die Umstehenden einen schon auffangen? Ein Klassiker der Vertrauensbildung. In der Rockmusik gibt es etwas Ähnliches – es nennt sich Stagediving: Man klettert während eines Konzerts auf die Bühne, holt tief Luft und springt dann zurück in die tobende Menge. Wenn alles gut geht, fangen die anderen Zuschauer*innen einen auf und man wird über viele Köpfe hinweg nach hinten durchgereicht.
Vertrauen, das ist ein überzeugter, aber leider ungesicherter Blick in die Zukunft. Risiken werden ausgeblendet, Komplexität wird reduziert. Viele Popsongs nähern sich dem Thema deshalb eher vorsichtig: Im Zweifel für den Zweifel, singen Tocotronic, andere Popmusiker*innen sehen das ähnlich. Kritisch bleiben, misstrauisch prüfen und – wie es in dem Song von Tocotronic heißt – im Zweifel lieber die eigene Uniform zerreißen und nochmal ganz von vorne anfangen.
Wer vertraut, fühlt sich sicher und aufgehoben
Natürlich gilt diese Sicht nicht für alle, oft ist es auch andersherum. Denn wer vertraut – dem Partner, einer Gruppe, der Regierung –, fühlt sich sicher und aufgehoben. In Queens We Are The Champions verschmelzen die machtlosen Einzelnen sogar zu einer unbesiegbaren Gemeinschaft. Der Song ist ein Mega-Hit, vor allem in Fußballstadien, weil er das Vertrauen in die Überlegenheit des eigenen Teams stärkt. Triumphierend werden dazu Fäuste in die Luft gestoßen, aus Tausenden Kehlen erschallt der Refrain: „We are the champions, my friends. And we’ll keep on fighting till the end“.
Lana Del Reys Video Games ist sehr viel ambivalenter. Zu einer seufzenden Melodie, die sich mit der Stimmung des Texts hebt und senkt, beschreibt die Sängerin ein etwas angestaubtes US-amerikanisches Idyll. Die Protagonistin öffnet ihrem Partner Bierflaschen, trägt sein Lieblingsparfüm, zieht das Sommerkleid an, das er so gerne mag, und schaut ihm zu, wie er sich mit einem Videospiel vergnügt. Sehnsüchtig glaubt sie an die Liebe dieses Mannes, vertraut ihm bedingungslos: „Heaven is a place on earth with you“. Die Melancholie, die den Song durchweht, lässt allerdings an der Haltbarkeit dieses Glücks zweifeln. Lana del Reys Protagonistin fehlt etwas Entscheidendes: Selbstvertrauen. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten ist eine der Grundbedingungen für eine Karriere im Popgeschäft. Wer auf die Bühne steigt und dabei vor allem ans Scheitern denkt, hat schon verloren.
Punk hat in dieser Hinsicht die Schwelle erheblich gesenkt. Im Januar 1977, nur ein paar Wochen nachdem die Sex Pistols ihre erste Single Anarchy In The UK veröffentlicht hatten, fand sich in einem Londoner Fanzine ein hingekritzeltes Diagramm mit drei Gitarrenakkorden und der Aufforderung: „Now Form A Band“. Die Londoner Gruppe The Members fühlte sich davon angesprochen. In ihrem größten Hit Sound of The Suburbs beschreiben die Musiker schnell, laut und liebevoll die Tristesse der eigenen Vorstadt, wo knapp über den Dächern der Landeanflug nach Heathrow beginnt. Keine tolle Nachbarschaft, doch die Members scheinen sich in diesem vertrauten Terrain wohlzufühlen – weil es sie geprägt hat und sie ein Teil davon sind.
Geradezu überlebenswichtig ist Vertrauen in der vor Gewalt strotzenden Welt, die der New Yorker Rapper Nas in Trust beschreibt. Die traurige Realität der eigenen Adoleszenz und die Fiktion unzähliger Gangster-Filme verschwimmen im Text, schaukeln sich gegenseitig in absurde Höhen. Nas erzählt von brutalen Bandenkriegen, die immer wieder Opfer fordern. Schutz gibt es hier nur in einer zuverlässigen Gang: „I want a bitch I can trust, some n****s I can trust. Accountants lookin‘ over my figures I can trust“. Ohne ein Umfeld, das einem den Rücken stärkt, ist auch das Leben des härtesten Gangsters in permanenter Gefahr. Doch keine Sorge, Texte wie dieser sind meist Metaphern und Hochstapeleien. Nas führt längst das behagliche Leben eines Popstars.
Das Vertrauen in die Zukunft ist abhanden gekommen
Leider ist der Popkultur im Laufe der Zeit etwas Grundsätzliches abhanden gekommen: das Vertrauen in die Zukunft. „I’ve got to admit. It’s getting better. A little better all the time“, erklärten die Beatles 1967 auf ihrem Album Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band. Und alle sahen das ähnlich. Selbstverständlich würde der Wohlstand weiter wachsen und die Natur trotzdem heil bleiben. Das Zeitalter des Wassermanns stand ja vor der Tür und die klassenlose Gesellschaft würde sicher auch bald kommen. Inzwischen sind die Träume des Pop deutlich kleiner geworden – aus Utopien wurden Dystopien. „Sadly, The Future Is No Longer What It Was“, klagt der britische Electro-Musiker James Leyland Kirby melancholisch im Titel seines Debütalbums. Wer sich heute fallen lässt, sollte sich nicht zu sicher sein, dass er auch aufgefangen wird.
Jürgen Ziemer
Dieser Text wurde veröffentlicht auf der Webseite des Goethe Instituts, in der Rubrik Zeitgeister – Internationale Perspektiven aus Kultur und Gesellschaft.
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