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DAS GLÜCK IM ZORN

Als der Pop noch Wut und Haltung verlangte: Die englische Band Sleaford Mods macht aufregende Musik für eine Welt, in der es nur den Reichen noch gut geht – also den wenigsten.

Jason Williamson platzt fast vor Wut – zumindest sieht es so aus. Er steht auf einer Bühne, sein muskulöser Körper ist angespannt wie kurz vor einer Prügelei im Fußballstadion. In rasender Geschwindigkeit spuckt er Wörter in den Raum, gebündelt zu Sätzen, die wie Schläge wirken. Andrew Fearn, ein dürrer, blasser Kerl, der seit Minuten wie angewurzelt neben ihm lehnt, nimmt ungerührt einen tiefen Zug aus der E-Zigarette, die um seinen Hals baumelt. Die Musik kommt ja aus dem Notebook – warum also so tun, als ob?

Williamson ist eine Art Rapper, die Musik seines bleichen Kumpels dagegen hört sich wie ein zusammengeschusterter Mix aus Punk und Electro an. Aber das gehört zum Konzept – Keep it simple! Sleaford Mods nennen sich die beiden Briten, deren Auftritte an Zeiten erinnern, als Pop noch mehr Wut und Haltung hatte. Divide and Exit, „Teile und hau ab“, lautet der Titel des aktuellen Albums – weil es hier nicht um Machiavelli geht und die Herrschaft der Starken, sondern um die wachsende Wut der Schwachen und die Spaltung der Gesellschaft.

Die Songs stehen in der langen Pop-Tradition eines ruppigen Neorealismus der britischen Vorstädte und Arbeiterviertel. Nicht nur der Guardian zählt Divide and Exit deshalb zu den zehn besten Alben des letzten Jahres. Aber eigentlich sind es die Konzerte, die den wahren Reiz der Sleaford Mods ausmachen. Eine motzig-subversive Stimmung kriecht dann bis in die letzten Winkel der Clubs, in denen das Duo auftritt. Als hätten sich Band und Publikum zu einer Verweigerung verabredet. Einer unterhaltsamen Form von schlechter Laune.

Mit den gut gestylten Rebellionen junger Hipster-Bands hat die Attitüde der Sleaford Mods nichts zu tun. Zwei Männer jenseits der 40, mit zerknitterten Gesichtern und gebrochenen Biografien sind in den Vermarktungsstrategien der Musikkonzerne nicht vorgesehen. Das Duo aus Nottingham ist bei Harbinger Sound unter Vertrag, einem auf Punk und Avantgarde spezialisierten Mini-Label, betrieben von dem Busfahrer Steve Underwood. Vor ihrem Konzert sitzen die Sleaford Mods auf einer Bank neben dem Hamburger Golden Pudel Club – einer kleinen Trutzburg gegen den kulturellen Mainstream.

 „Ich bin kein Theoretiker. Ich kann nicht auf ausgeklügelte Weise politisch argumentieren. Aber wenn man über die Unterdrückung der arbeitenden Menschen redet, dann sollte das auf eine Weise geschehen, die der miesen Stimmung im Land gerecht wird“, sagt Williamson, der sich seit Jahrzehnten mit schlecht bezahlten Jobs durchschlägt, zuletzt arbeitete er für ein kommunales Callcenter. Sein wortkarger Kollege Fearn ist schon lange arbeitslos: „Überall gibt es Mauern, Regeln, Toilettenpausen. Wenn man darüber nachdenkt, ist es furchtbar deprimierend.“

Die deprimierende Lage der arbeitenden Klasse ist aber auch ein Stoff voller Inspirationen für die Songs der Sleaford Mods. Neben kennerhaften Referenzen aus der Welt des Pop spielt Humor eine wichtige Rolle. „Humor macht die Sache deeper“, sagt Andrew Fearn, „der Kontrast wird stärker, und die Songs werden dynamischer.“ Vor allem aber bewirkt der Humor, dass ihre Songs nicht nach einem Forderungskatalog klingen.

Wenn er nicht auf der Bühne steht, wirkt Williamson ruhig, fast nachdenklich. Ein sportlicher Typ, der regelmäßig laufen geht und sich alle Mühe gibt, seine kleine Familie zu ernähren. Früher träumte er von einer Karriere als Rocksänger, auch mit Folk hat er es versucht. Doch diese Träume platzten schon vor langer Zeit. Williamson begann dann, seinen Ärger in Texte zu packen, die er nach Feierabend in Cafés vortrug. Untermalt von selbst gebastelten elektronischen Beats und Samples, die sich um Urheberrechte wenig scherten.

Fünf Alben sind zwischen 2007 und 2012 unter dem Namen Sleaford Mods erschienen, gebrannt am eigenen Computer – allesamt Flops. Vor vier Jahren kam der Musiker und DJ Andrew Fearn dazu, und bereits das erste gemeinsame Album Austerity Dogs zeigte einen gewaltigen Sprung nach vorn: Ein aufmüpfiger Galgenhumor trifft auf eine Musik, die ohne Umschweife zur Sache kommt. Immer wieder wird die Band mit The Fall verglichen, weil deren Kopf und Sänger Mark E. Smith auch so ein Querkopf ist, der in kein Schema passen will. Williamson verzieht allerdings das Gesicht, wenn man ihm mit solchen Vergleichen kommt. Hip-Hop sei für ihn als Inspiration wichtiger gewesen, sagt er, und dass es einfach nicht mehr genug gute „street music“ gebe: „Hip-Hop ist eine moderne Variante von Punk. Man redet über das, was einen ankotzt, es ist dasselbe Prinzip.“

Und doch will er nicht in die Welt des Hip-Hop passen. Die meisten Rapper träumen vom sozialen Aufstieg: „Get rich or die trying“ – Werde reich, oder stirb beim Versuch, lautet ein populäres Credo. Ein Leben ohne Reichtum gilt in neoliberalen Zeiten als nicht lebenswert, man ist dann ein Loser. Die Sleaford Mods hingegen erinnern an untergegangene Haltungen wie Solidarität und Klassenbewusstsein, sie wissen, dass das Scheitern des Einzelnen zur Logik des Systems gehört. Viele der prekär Beschäftigten in den Werbeagenturen und Start-ups wollen das nicht wahrhaben. Sie fühlen sich als Individualisten, Künstler und Solotänzer – nicht als die Malocher des Medienzeitalters.

Jason Williamson hat sich solchen Illusionen nie hingegeben: Die Zeile „The smell of piss is so strong, it smells like decent bacon“ aus dem Song Tied Up In Nottz beschreibt eine Welt, in der gebratener Speck und Urin nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Weil alles gleich billig ist, langweilig und öde. Weil man festsitzt in einer Vorhölle, die sich Nottingham nennt oder Dortmund oder sonst wie. „Wir sind so auf Geld konditioniert, dass wir uns ein Leben ohne kaum noch vorstellen können“, sagt Williamson und blickt nachdenklich auf die Spitzen seiner ausgetretenen Loafers. „Und das Eintreten für einen faireren, sensibleren Kapitalismus hält das System doch nur weiter am Leben. Es ist der Kapitalismus an sich, der nicht funktioniert.“

Die Sleaford Mods können im Moment nicht klagen. Seit einem Jahr sind sie ununterbrochen auf Tour, im Sommer erscheint bei Harbinger Sound ein neues Album. Plötzlich wollen sogar Prodigy und Leftfield, ergraute Stars der Rave-Ära, mit den Sleaford Mods zusammenarbeiten. Mehr Street-Credibility ist im Moment ja auch kaum zu finden. Doch wie wird es weitergehen? Die ersten Fans fürchten bereits, das Pure und Authentische, das diese Musik ausmacht, könne verloren gehen in einer nach oben führenden Abwärtsspirale aus Kooperationen, Sponsorenverträgen und Medienpartnerschaften.

Aber das steht erst einmal in den Sternen. Noch sind die Sleaford Mods die lauteste und eloquenteste Stimme der Unzufriedenen im Pop. Immer mehr Menschen kommen zu ihren Konzerten, und sie tanzen eher selten. Die meisten stehen nur da und nicken – beifällig, trotzig, als hätten sie verstanden.

Jürgen Ziemer

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